Das Drama des vor 60 Jahren beschlossenen Lastenausgleichs

Sonntag,9.Dezember2012 von

Am 4. Mai 1952 versammelten sich rund 60.000 Vertriebene in Bonn, um Linus Kather bei der am 6. Mai beginnenden  Zweiten Lesung zum Lastenausgleichsgesetz den Rücken zu stärken. Das Gesetz trat am 14. August 1952, also vor sechzig Jahren, in Kraft. Hierzu folgende Einzelheiten:

Die Potsdamer Konferenz von 1945 machte zwar eine Aussage über die Vertreibung der Ost- und Sudetendeutschen, schwieg aber zur Frage des Eigentums. Das war kein Zufall und sollte den Vertreiberstaaten Gelegenheit geben, sich den Besitz der Vertriebenen anzueignen. Die Notwendigkeit eines Ausgleichs für die in Restdeutschland Angekommenen lag auf der Hand, denn den Krieg hatten nicht nur die Ost- und Sudetendeutschen, sondern alle Deutschen verloren.

Zunächst gab es Überlegungen, den Lastenausgleich mit der Währungsreform zu verbinden, was sich aber als zu schwierig erwies. Im August 1948 jedoch setzte der Wirtschafts- und Länderrat der Bizone eine „Gutachterkommission für den Lastenausgleich“ ein. Am 2. September 1948 folgte das „Gesetz zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich“. Bis zur Verabschiedung des eigentlichen Lastenausgleichsgesetzes (LAG) durch den Bundestag im Mai 1952 vergingen aber noch vier Jahre. Bis 1987 erfuhr es nicht weniger als 31 Novellierungen. Beides, die hohe Zahl der Novellierungen wie der späte Zeitpunkt, deuten auf ein verbissenes Tauziehen um das Gesetzeswerk hin.

Besatzer fordern Soforthilfegesetz

Angesichts der verbreiteten, oft unbeschreiblichen Not der Vertriebenen forderten die Besatzungsmächte ein Soforthilfegesetz. Es trat am 18. August 1949 in Kraft und verpflichtete die von Kriegsschäden Verschonten zu einer jährlichen Abgabe von drei Prozent ihres bei der Währungsreform vorhandenen Vermögens rückwirkend zum 1. April 1949. Bemessungsgrundlage war der (allerdings überholte) Einheitswert der Vorkriegszeit. Für Kleinbauern und Besitzer von Wohnimmobilien wurde der Satz auf zwei Prozent ermäßigt. Unterstützung nach diesem Gesetz konnten nicht nur Vertriebene, sondern auch Spätheimkehrer, Ausgebombte, SBZ-Flüchtlinge und Geschädigte des NS-Regimes beantragen.

Das zähe Ringen um das Lastenausgleichsgesetz

Lange stritt man über die Frage eines „sozialen Lastenausgleichs“, der die Unterschiede in den früheren Besitzverhältnissen Ostdeutschlands aufheben und darüber hinaus eine Umverteilung westdeutschen Besitzes herbeiführen sollte. Gegen diese „Gleichmacherei“ wandten sich nicht nur die westdeutschen, sondern auch die vertriebenen „Besitzbürger“. Die passenden Kampfbegriffe lieferte der „Kalte Krieg“ mit Schlagworten wie „sozialistisches Experiment“, „kalte Sozialisierung“ oder „kollektivistische Tendenzen“.

 

Die erste Lesung des LAG fand am 19. Januar 1951 statt. Wie gering der politische Wille war, rasche Hilfe zu leisten, erkennt man an der langen Frist bis zur zweiten Lesung am 6. Mai 1952. „Vertriebenenfeind Nr. 1“ war, wie Linus Kather einmal sagte, Finanzminister Schäffer (CSU). Er hatte leichtes Spiel, weil den Vertriebenen noch untersagt war, eigene Parteien zu bilden. Man verwies sie auf die Mitarbeit in den bestehenden Parteien, die sich aber weitgehend gegen Vertriebene abgeschottet hatten und z.T. sogar im Verdacht standen, das (undemokratische!) Koalitionsverbot selbst angeregt zu haben. Insgesamt fanden dennoch 61 Vertriebene den Weg in den Bundestag. Leider unterstanden sie dort teils dem Fraktionszwang (SPD!) oder litten unter einem Mangel an Stehvermögen. Selbst der spätere SL-Sprecher, Dr. Seebohm, stritt zunächst ab, Vertriebener zu sein, weil seine Familie noch aus der Vorkriegszeit über Besitz in Niedersachsen verfügte. Den Hauptkampf für das LAG führte daher eine nur kleine Gruppe von Abgeordneten um den Königsberger Rechtsanwalt Dr. Linus Kather (CDU). Sie konnte sich aber nicht einmal auf das Vertriebenenministerium verlassen, denn dessen

Leiter, der Breslauer Hans Lukaschek, hatte sich von Fritz Schäffer die Federführung für das Lastenausgleichgesetz entwinden lassen und war auch sonst in vertriebenenpolitischer Hinsicht eine (dem Kanzler vermutlich nicht unangenehme) krasse Fehlbesetzung.

Machtvolle Demonstrationen

Da Dr. Kather weder in der Regierung noch im Parlament den erwünschten Rückhalt fand, entschloß er sich, „auf die Straße zu gehen“. Als Vorsitzender des 1949 gegründeten „Zentralverbandes vertriebener Deutscher“ (ZvD) rief er zweimal zu Kundgebungen auf. Einmal nach der ersten Lesung des Gesetzes im Februar 1951 und dann erneut am 4. Mai 1952 vor der dritten Lesung. Jedesmal füllten rund 60.000 Demonstranten den Marktplatz in Bonn und stärkten Dr. Kather den Rücken.

Als das LAG schließlich am 14. August 1952 in Kraft trat, hatten sich dennoch die eher egoistischen Kräfte durchgesetzt, deren erklärtes Ziel es war, Eingriffe in die Vermögenssubstanz der Nicht-Vertriebenen zu vermeiden. Die Abgaben sollten aus den Erträgen erwirtschaftbar sein, da man ins Feld führte, Substanzschmälerungen könnten den Wiederaufbau gefährden. Diese Begründung mag in Einzelfällen richtig gewesen sein, zeugt aber insgesamt nicht von wirklicher Solidarität.

Reparationsersatz

Die politischen Widerstände gegen den Lastenausgleich sind umso schwerer zu verstehen, als die Vertreiber schon damals das ihnen in die Hände gefallene Vermögen als Reparationsersatz betrachteten.
Benesch hatte Reparationen vom Deutschen Reich schon nach dem Ersten Weltkrieg gefordert. Da die Kriegserklärung seines Landes aber erst am 28. Oktober 1918 erfolgte, erhoben die Alliierten Einspruch.  Die  CSR  musste  den Alliierten im Gegenteil  sogar  eine „Befreiungsgebühr“  von   fünf

Milliarden Kronen zahlen! Ein solches Fiasko wollte Benesch 1945 vermeiden, zumal seine An-sprüche wieder von etwas fragwürdiger Natur  waren ( Siehe Kasten!). Seine Lösung: Er hielt sich am Vermögen der Sudetendeutschen schadlos. Schon bei seinem Moskaubesuch im Dezember 1943 äußerte er, auf Reparationen verzichten zu wollen und stattdessen den Sudetendeutschen für das zurückgelassene Vermögen Quittungen auszustellen, die vom Deutschen Reich einzulösen seien.

 

Nach dem Modell Benesch verfuhr auch Polen, und das war auch der deutschen Politik bewusst. So verzichtete Polen 1954 auf „weitere“ Reparationen, wobei der Begriff „weitere“ bedeutete, daß Polen schon etwas bekommen hatte, nämlich das Vermögen der Ost-deutschen. Komplementär dazu gab es auf deutscher Seite 1964 einen Gesetzesentwurf der Regierung Erhard/Mende, der festlegte, dass ein „Schaden… auch dann  ein Reparationsschaden ist, wenn er zugleich ein Vertreibungsschaden im Sinne des § 12 oder ein Ostschaden im Sinne des § 14 des Lastenausgleichsgesetzes ist“. Dieser Entwurf erhielt zwar erst am 12.2.1969 unter der Regierung Kiesinger/Brandt Gesetzesrang, zeigt aber erneut, dass sich Deutschland auf Kosten der Vertriebenen freigekauft hat. Vergebens warnte 1965 der Völkerrechtler Prof. Kaufmann vor der Gleichsetzung der jeweiligen Tatbestände, denn  Reparationen dienen der Wiedergutmachung von Kriegsschäden, während die anderen Schäden eine andere Grundlage haben. Im Zwei-Plus-Vier-Vertrag von 1990 wurde an diesen Festlegungen nicht gerührt.

Der Inhalt des LAG-Gesetzes

Für die Vertriebenen waren die Leistungen nach dem LAG, so gering sie auch sein mochten,  von starker psychologischer Wirkung. Man empfand Genugtuung über die Anerkennung des erbrachten Sonderopfers und fühlte sich irgendwie aufgenommen, was ohne Zweifel die Bereitschaft, sich in die bundesdeutsche Gesellschaft einzugliedern, begünstigte.

Konkret brachte das Gesetz eine Entschädigung proportional zur Höhe des verlorenen Besitzes, wenn auch mit starker Degression. Damit hatte man der Institution des Privateigentums halbwegs systemgerecht Genüge getan. Wie unvollkommen das Gesetz jedoch war, beweisen die insgesamt 31 Novellierungen bis 1987!

Von den Nicht-Vertriebenen verlangte das LAG eine Abgabe von fünfzig Prozent des Vermögens am Tag der Währungsreform, gemessen an den veralteten Einheitswerten der Vorkriegszeit. Die nach dem Soforthilfegesetz schon erbrachten Leistungen wurden angerechnet. Die Tilgungsfrist betrug 30 Jahre. Lobbyisten hatten Freibeträge und bestimmte Ausnahmen, z.B. für kirchliches (!) Vermögen, durch-gesetzt. Am Gesamtaufkommen der Steuern war der Lastenausgleich 1952 mit 5.5 Prozent beteiligt und sank 1956 auf 5,2 Prozent. Diese Abgaben konnten in der Tat aus den Erträgen erwirtschaftet werden, so daß, wie beabsichtigt, von einer fühlbaren Vermögensumschichtung nicht die Rede sein konnte. Unbeachtet bleibt dabei der Aspekt der Steuerehrlichkeit.

So floss durch die Kassen der in Bad Homburg angesiedelten Lastenausgleichsbehörde bis 2001 die imposante Summe von 145,3 Milliarden DM. Rein rechnerisch hätte das für jeden der 12 Millionen Vertriebenen 12.000 DM ergeben.  Da aber auch Spätheimkehrer, Ausgebombte, SBZ-Flüchtlinge und rassistisch Verfolgte abgefunden werden mussten, lag die Entschädigungssumme weit darunter.   Schäden bis 4.800 RM wurden in vollem Umfang ersetzt. Höhere Verluste unterlagen einem stark degressiven Abschlag. Ein Kleinbauer mit fünf Hektar erhielt etwa 5000 DM (= 10 Pfennig pro qm). Ein Großgrundbesitzer mit 200 Hektar bekam nur 33.880 DM (= 1,69 Pfennig pro qm). Etwas günstiger als der Kleinlandwirt stand sich der frühere Inhaber eines Handwerkbetriebes. Bei Millionenvermögen wurden für die zweite Million 2 Prozent und für die dritte 1 Prozent gegeben. Bemessungsgrundlage war wieder der (überholte) Einheitswert der Vorkriegszeit. Im Durchschnitt wurden etwa 22 Prozent der ohnehin unterbewerteten Vermögensverluste ausgeglichen. Wichtig war, daß dieAnnahme der Gelder laut Präambel des LAG  den Anspruch auf das zurückgelassene Eigentum nicht berühre.

Wofür es nichts gab

Diese Art von Ausgleich ließ leider weitere, oft bedeutendere Benachteiligungen der Vertriebenen unberücksichtigt. An erster Stelle ist der berufliche Abstieg zu nennen. Vielen gelang es nicht mehr, in gleichwertige Berufe zurückzukehren. Besonders Landwirte mußten sich überdurchschnittlich oft mit der Tätigkeit eines Hilfsarbeiters begnügen, was sich natürlich später auch auf die Höhe der Rente auswirkte. Der 1971 durchgeführte Mikrozensus zeigte, daß die Einkommen der Vertriebenen durchschnittlich fünf Prozent unter denen der Nichtvertriebenen lagen und daß dieser Rückstand selbst in der zweiten Vertriebenen-Generation noch nicht aufgeholt war! Die Statistik zeigt naturgemäß auch einen bedeutenden Rückstand beim Wohneigentum und beim angesparten Geldvermögen, und nicht zuletzt lebten die Vertriebenen dreimal häufiger als Einheimische am Existenzminimum.

Die Solidaritätsfrage

Im Dritten Reich warf man den Sudetendeutschen vor, nur einen Volkstumskampf und keinen Nationalsozialistischen Weltanschauungskampf geführt zu haben. Eine zwielichtige Propaganda scheint aber erreicht zu haben, sie jetzt als besonders fanatische Nationalsozialisten hinzustellen, denen ganz recht geschehen sei. Hinzu kam, daß die Sudetendeutschen schon immer sehr von oben herab behandelt wurden, worüber  Ralf Gebel in seinem Buch „Heim ins Reich“ (1999) ausführlich berichtet (sh. S. 222 ff.). Nimmt man noch den normalen menschlichen Egoismus hinzu, ist es verständlich, daß dem Lastenausgleichsgesetz nur ein eingeschränktes Lob zuerkannt werden kann.

Vorbildhafte Finnen

Wie es auch anders gehen konnte, zeigte Finnland, wohin Linus Kather auf Einladung der Amerikaner 1951 eine Studienreise unternahm. Ihn begleiteten weitere Abgeordnete und einige Ministerialbeamte. Finnland musste 1944 ein Gebiet von 43.000 qkm an die Sowjetunion abtreten und 480.000 Karelier aufnehmen. Schon am  5. Mai 1945 lag ein Ausgleichsgesetz vor, das z.B. jedem vertriebenen Bauern wieder einen Hof verschaffte. Dafür mußten nichtvertriebene Bauern schon ab dem 25. Hektar etwas von ihrem Land abgeben. Als Kather den finnischen Parlamentspräsidenten fragte, wie stark die Karelier damals im finnischen Parlament vertreten waren, antwortete dieser stolz: „1945 waren wir alle Karelier!“

von Friedebert Volk