Thema Zeitgeschichte- Material zur Zwangsarbeiterfrage:

Dienstag,26.November2013 von

Seit Jahren wird in der Bundesrepublik über eine Zwangsarbeiterentschädigung diskutiert. Sie soll

Deutschen gewährt werden, die nach dem Krieg von den Siegermächten als billige Sklaven

zurückgehalten wurden. Außer Ankündigungen ist bisher nichts geschehen. Im Gegensatz dazu zeigte

sich Deutschland bei der Entschädigung für ausländische Zwangsarbeiter und Dienstverpflichtete in

Deutschland während des Krieges recht großzügig. Dabei machten Tschechen keine Ausnahme.

Die Lage tschechischer Arbeitnehmer im Reich

Tschechische Arbeiter-Migranten gab es „im Reich“ schon immer. Interessant sind aber die Zahlen

nach der Protektoratserrichtung. Diese liefert aus erster Hand Dr. Wilhelm DENNLER, ein gebürtiger

Schwabe, der zwischen 1939 und 1945 im Amt des Reichsprotektors für die Rekrutierung

tschechischer Arbeitskräfte zuständig war. In einer „Sonderveröffentlichung des Reichsarbeitsblattes“

(Berlin 1940) gibt er die Zahl der Arbeitslosen zu Beginn des Protektorats mit 92.849 an, von denen

überhaupt nur die Hälfte die geringe monatliche Unterstützung von 100 Kronen bezog. Für die

„unsichtbare Arbeitslosigkeit“ legte er noch einmal die gleiche Zahl zugrunde.

Da im Protektorat die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Boykottmaßnahmen

des Auslandes erschwert war, bot sich der Einsatz im

„Altreich“ an. Dr. HACHA stellte ausdrücklich fest, daß dies das

beste Mittel sei, den tschechischen Arbeiter mit den Errungenschaften

der deutschen Sozialpolitik bekannt zu machen und ihm bisher „nie

gekannte Einkünfte“ zu ermöglichen. Als im März 1939 deutsche

Werber 20.000 Arbeiter suchten, meldeten sich 50.000, von denen

30.000 unter Vertrag genommen wurden (Dorfbote, 13.5.1939, Zeitung

der sudetendeutschen Bauernschaft, Erscheinungsort Budweis, Auflage 40.000). Bis zum 10. Mai 1940

gelang es, insgesamt 120.000 tschechische Arbeiter und Angestellte anzuwerben. Die von ihnen

transferierte Lohnsumme von 92.225.073 Kronen stellte einen deutlichen Wirtschaftimpuls für das

Protektorat dar. Von Anfang an wurde die kulturelle und religiöse Betreuung der im Reich Tätigen

ernst genommen, es gab sogar eine eigene Zeitung für sie. Keiner der tschechischen Arbeitnehmer

mußte sich unter diesen Voraussetzungen als Zwangsarbeiter fühlen. Auch später, als die Bedingungen

kriegsbedingt härter wurden, waren Tschechen als Protektoratsangehörige und damit quasi als

Reichsangehörigen privilegiert.

Auszüge aus Dr. Dennlers Buch

Dr. DENNLER wurde im Mai 1945 in Prag verhaftet und bis 1947

eingekerkert. Nach der Freilassung verfasste er 1953 das Buch „Böhmische

Passion“ und schildert darin tagebuchartig die Arbeit seines Amtes:

November 1939: „Die tschechischen Arbeiter drängen sich zur Arbeit in

Deutschland“ (S. 12).

Januar 1941: „Nach wie vor drängen die tschechischen Arbeiter ins Reich“

(S. 41).

Juli 1941: Dr. DENNLER und der Minister Dr. KLUMPAR von der

Protektoratsregierung reisen im Sonderzug nach Deutschland, um sich von

den Lebensverhältnissen der tschechischen Arbeiter vor Ort zu informieren.

Zur Begleitung gehören tschechische Gewerkschaftler und mehrere deutsche

und tschechische Beamte. Man stellt übereinstimmend fest, daß die

Probleme des Arbeitseinsatzes „in jeder Hinsicht befriedigend gelöst“ sind

(S. 52 f.).

April 1942: Die Anforderungen des Reiches an Arbeitskräften, besonders in

der Luftwaffenfertigung, steigen ständig. „Vorläufig sind wir noch in der Lage, den Bedarf im Wege

freiwilliger Anwerbung zu decken“ (S. 73).

Juli 1943: „Zu unserer Überraschung hat der Widerwille der Tschechen gegen eine Beschäftigung

außerhalb des Protektorats merklich nachgelassen“ (S. 105).

Juli 1943: Es wurde eine Dienststelle eingerichtet, die in allen Teilen des Reiches kontrolliert, ob die

vereinbarten Arbeitsbedingungen eingehalten werden. Auf Grund ihrer Berichte wurden eine „umfassende“ seelsorgerische Betreuung der Arbeiter durch tschechische Geistliche, eine

„umfassende“ Versorgung mit Büchereien sowie „unzählige“ andere Verbesserungen sichergestellt.

Verschiedene erstklassige Ensembles tschechischer Künstler unternahmen ausgedehnte Tourneen zu

den Einsatzorten, um die kulturelle Verbindung mit der Heimat aufrechtzuerhalten (S. 106)

Schluss:

Obwohl Dr. DENNLER im letzten Kriegsjahr für die Dienstverpflichtung des ganzen männlichen

Jahrgangs 1924 verantwortlich war, forderte niemand seinen Kopf. Einer jener dienstverpflichteten

jungen Tschechen bestätigte nach dem Kriege sogar Dr. HACHAs oben zitierte Worte: „Wir haben in

Deutschland gesehen und selbst erhalten, was wir als

Arbeiter zu fordern haben. Deshalb gehöre ich auch keiner

der alten Parteien an, sondern bin Kommunist.“ (Dokumente

zur Austreibung der Sudetendeutschen, München 1951, S. 22).

Insgesamt sollen zwischen 1939 und 1945 etwa 600.000

Tschechen für kürzere oder längere Zeit im „Reich“ eingesetzt

gewesen sein, niemals aber mehr als 286.663 Personen

gleichzeitig, was durch die Rotation der Arbeitskräfte in

Abhängigkeit von der Dauer der Arbeitsverträge bedingt war

(Karny, M., Der „Reichsausgleich…“, Essen 1991, S. 81).

Bestätigungen dieser Ausführungen enthalten die unten

folgenden Texte sowie Voitech Mastny, The Czechs under

Nazi-Rule (1971, S. 80 f.).

P.S.: Dennler macht in seinem Buch “Böhmische Passion” auch Angaben zu Massengräbern und Hinrichtungsstätten für

Deutsche, z.B. S. 252, S. 254, S. 260 usw.

Zusatz:

Tschechischer Leserbrief in „Metro“ vom 11.10.1999:

Herr J.Z. schreibt: „Ich bin totaleingesetzt worden in Deutschland in den Jahren 1943-1945. Ich erlebte

die Bombardierung von Hamburg. Wir Tschechen waren dort nicht als Gefangene oder Häftlinge, wir

konnten uns frei bewegen, besuchten Kinos und Theater. Ich hatte dort eine Freundin, in deren Familie

ich gut aufgenommen wurde, obwohl ich Tscheche bin.

Auf einer Versammlung der ehemaligen Totaleingesetzten in Prag protestierte ich gegen die Forderungen

auf Entschädigung und wurde dafür beschimpft. Eine Entschädigung steht nur Gefangenen und

Häftlingen zu, wir Totaleingesetzten bekamen für unsere Arbeit im Reich ein Gehalt. Ich schäme mich

für das Fernsehen, das Aufnahmen aus Auschwitz ausstrahlt und diese als Unterkünfte für Totaleingesetzte

präsentiert. Machen wir endlich Schluß mit solchen „Ansprüchen“ und Forderungen. Wir

sollten nichts fordern, was uns nicht zusteht! Machen wir aus uns keine

Häftlinge und Gefangene! Hören wir auf zu lügen!“

Allain Robbe-Grillet als Dienstverpflichteter bei MAN

Der Franzose Alain ROBBE-GRILLET, Hauptvertreter des Nouveau Roman,

sagt im Spiegel (Nr. 45/2001, S. 236ff.): „Ich hatte trotz der Härte des Schichtdienstes

nicht das Gefühl, Zwangsarbeit zu leisten. Ich bekam den gleichen

Lohn wie die Deutschen und wurde nie bösartig behandelt…. Abends ging ich

ins Konzert.“

Entschädigung für CSSR-Flüchtlinge

1982, vierzehn Jahre nach dem Ende des Prager Frühlings, verlassen jährlich immer noch etwa 3.000

Personen illegal die CSSR. Unter ihnen befinden sich auch solche, die während des Protektorats aus

nationalen Gründen verfolgt wurden. Für diesen Personenkreis stellte die Bonner Regierung 1982 als

Entschädigung erneut fünf Million DM zur Verfügung. Die Einzelhilfe beträgt maximal 5.000 DM

und wird Personen gewährt, die ihre Heimat nach dem 31.12.1965 verließen (Novy domov, Kanada,

3.6.1982).

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