Sudetenfrage und Völkerrecht

Mittwoch,26.November2014 von

(Zusammengestellt von F.Volk)

Im Jahre 1946 verabschiedete die Ackermanngemeinde ein Grundlagenpapier, dessen „1. Leitsatz“ wie folgt begann: „Wir Vertriebenen werden nie das Recht auf unsere Heimat aufgeben. Wir werden aber in unsere Heimat nur zurückkehren, wenn die Völker Europas ihre nationalen und sozialen Ge-gensätze in der höheren Ordnung des Humanen, Sittlichen und Christlichen lösen.“ (Nittner, S. 317).

Diesem ersten Leitsatz folgten noch weitere neun, doch keiner von ihnen enthielt einen Hinweis auf das Völkerrecht. Das kann daran liegen, dass der „Werkzeugkasten“ der Völkerrechtler damals noch nicht so gut gefüllt war wie heute. Wahrscheinlicher ist aber, dass man spitzfindiges Argumentieren angesichts der Ungeheuerlichkeit des Vorgefallenen schlicht für überflüssig hielt. Die Entwicklung hat jedoch gezeigt, dass Appelle an Moral und Gewissen nutzlos waren und die Vertriebenen allen Grund haben, die rechtliche Seite ihres Problems genau zu beachten:

Marten`sche Klausel (1899):

Im Rahmen der Haager Friedenskonferenz wurde 1899 die nach einem russischen Diplomaten benannte Marten`sche Klausel formuliert. Sie gewann seither nicht nur als Völkergewohnheitsrecht, sondern auch als Bestandteil einiger völkerrechtlicher Verträge Anerkennung und lautet: In Fällen, die von den geschriebenen Regeln des internationalen Rechts nicht erfasst sind, verbleiben Zivil-personen und Kombattanten unter dem Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts, wie sie sich aus den feststehenden Gebräuchen, aus den Grundsätzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens ergeben.

Haager Landkriegsordnung (1907, §§ 43 – 50, bes. § 46):

Die Haager Landkriegsordnung (HLKO) verbietet im 3. Abschnitt, §§ 42-53, Kollektivstrafen, Plün-derungen, Einzug von Privateigentum und Änderungen der bestehenden öffentlichen Ordnung im besetzten Gebiet. Die diese Regeln verletzende Kriegspartei ist zu Schadensersatz verpflichtet (Art. 3).

(Die HLKO war auch im Jahre 1945 anwendbar, wie das Internationale Militärtribunal in Nürnberg zeigt, wo sich der französische Anklagevertreter auf sie berief.)

Vertrag von St. Germain (1919):

Abschnitt III, Art. 57, des Vertrages von St. Germain verpflichtete die CSR zum Minderheitenschutz für die Sudetendeutschen. Das schloss denknotwendig das Vertreibungsverbot mit ein. Aber auch das Völkergewohnheitsrecht verbietet, die Verbindung zwischen Bevölkerung und angestammtem Siedlungsraum zu zerstören.

Münchner Abkommen (1938):

Das Münchner Abkommen war zunächst ein gültiger Vertrag, denn maßgebend ist immer die völker-rechtliche Auffassung zum Zeitpunkt des Abschlusses. Die „Nichtigkeit“ trat nach Meinung der Bundesregierung erst 1974 nach der Ratifizierung des Normalisierungsvertrages ein. Das bedeutet, dass die Sudetendeutschen 1945 deutsche Staatsbürger waren, die nur gegen Entschädigung enteignet werden durften.

Atlantik-Charta (12.8.1941):

Die Unterzeichner der Atlantik-Charta, darunter Polen und die CSR, strebten keine Gebietsverände-rungen gegen den Willen der betroffenen Völker an. Polen forderte nur die Rückführung deutscher Neuankömmlinge.

Charta der Vereinten Nationen (26.6.1945):

Im Juni 1945, als die Vertreibung in vollem Gange war (!), bekannten sich die Vereinten Nationen in ihrer Charta zur Achtung der Grundrechte und des Selbstbestimmungsrechts der Völker (§§ 1 und 55). Potsdamer Protokoll (13.8.1945, Art. XIII):

Die gewaltsame Vertreibung einer Bevölkerung kann durch nichts verfügt werden, weder durch ein Protokoll noch einen Vertrag. Das ergibt sich aus allen bisher abgeschlossenen Verträgen.

Konvention gegen Völkermord (9.12.1948):

Die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes greift 1948 auf eine Resolution der Vereinten Nationen vom 11.12.1946 zurück und erklärt (neben anderem) bereits die Auferlegung zerstörerischer Lebensbedingungen zum Völkermord.

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (10.12.1948):

In aller Ausführlichkeit werden die Menschenrechte 1948 in der Allgemeinen Erklärung umschrieben.

Genfer Konvention IV (12.8.1949):

Niemand kann auf die durch das Abkommen gewährten Schutzrechte verzichten (Teil I, Art. 8).

Die Besatzungsmacht darf Teile ihrer eigenen Bevölkerung nicht in das von ihr besetzte Gebiet verschleppen oder verschicken (Teil III, Abschn. III, Art. 49).

UNO-Konvention über die Nichtverjährung (27.11.1968):

Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Vertreibung verjähren nicht (Art. 1).

Wiener Vertragsrechtskonvention (22.5.1969):

  • 52: Ein Vertrag ist nichtig, wenn er unter Androhung von Gewalt zustande kommt. (Trifft für BRD zu, solange Truppen der Sieger im Lande sind und die UN-Feindstaatenklausel nicht aus dem rechts-verbindlichen Text der UN-Satzung getilgt ist).
  • 53: Ein Vertrag ist nichtig, wenn er mit einer zwingenden (peremptorischen=aufhebenden) Norm des allgemeinen Völkerrechts in Konflikt steht. Dazu gehören das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das Annexionsverbot und das Verbot der Beraubung und Vertreibung der Bevölkerung in besetzten Gebieten. Darunter fallen somit alle Verträge mit Polen und Tschechien nach 1969!

Urteil des Bundesverfassungsgerichts (31.7.1973):

Laut Urteil des BVG vom 31. Juli 1973 besteht das Deutsche Reich in den Grenzen vom 31.12.1937 fort. Auf einem Teil des Reichsgebietes hat die Bundesrepublik einstweilen das Leben der Deutschen organisiert. Sie ist aber nicht befugt, vor einem Friedensvertrag Schritte zu unternehmen, die die volle Wiedervereinigung erschweren. Fehlerhaft ist an dem Urteil die Fixierung auf den 31.12.1937, denn das Münchner Abkommen war auch nach Auffassung der Bundesregierung mindestens bis 1974 ein gültiger völkerrechtlicher Vertrag, der die Zugehörigkeit des Sudetenlandes zum Reich festschrieb.

Schuldzuweisung

Die Vertreibung von Deutschen kann nicht mit den Vertreibungs-maßnahmen im Dritten Reich gerechtfertigt werden, denn dem Völkerrecht ist der Grundsatz „tu quoque“ (Du auch) unbekannt.

Schluss:

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag bekannte sich in seinem Statut (§ 38, 1c) schon 1945 zu den „von den Kultur-völkern anerkannten allgemeinen Grundsätzen“. Demnach muss der Schuldige den zugefügten Schaden beheben. Für die Ver-triebenen bedeutete das Rückgabe ihres Eigentums, Ersatz für entgangenen Gewinn, Aufhebung rechtswidriger Gesetze und Dekrete sowie Ausgleich für ideelle Schäden. Verjährung ist ausgeschlossen, soweit es sich um Verbrechen gegen die Menschheit und Völkermord handelt.

Somit liegt im Völkerrecht das Instrumentarium für die Wiedergutmachung des Vertreibungsunrechts bereit. Die Gerichte müssen nur zugreifen. Den Worten müssen Taten folgen!

Hilfsmittel: Nittner, Ernst, Dokumente zur Sudetenfrage 1916-1967; Randelshofer, Albrecht (Hrsg), Völkerrechtliche

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