Eine ehrliche Stimme in Lidove Noviny (2013):

Dienstag,26.November2013 von

Lasst uns die Verantwortung für das Nachkriegs-Unrecht übernehmen!

Von Vilem Barak, Publizist

Seit dem Ende des II. Weltkrieges sind 68 Jahre vergangen. Es ist an der Zeit, dass wir mit der Vertreibung der deutschen Bevölkerung, mit diesem verleugneten und missbrauchten Sumpf der tschechischen Geschichte, fertig werden. Sonst wird er in dem öffentlichen Raum für immer stinken. Es ist eine Schande für uns alle, dass irgendein Politiker immer wieder sich in den Sumpf versenkt, den Dreck überall herumstreut und unter dem Motto „wer nicht geifert, ist kein Tscheche“ eine Bewunderung, das Ausschalten der Gehirne und den Zusammenschluss der Bürger erwartet. Und es ist egal, ob dies in der Wahlkampagne oder bei einer Exhibition als Selbstzweck geschieht, wie es zuletzt der Präsident Miloš Zeman mit seinen an die Sudetendeutschen adressierten Worten, dass die Aussiedlung milderer sei als

die Todesstrafe, vorgeführt hat.

Die Abneigung gegen alles Deutsche, welche die Politiker immer wieder nähren, ist sogar absurder Natur. Schon die bloße Erwähnung über den vorbereiteten Antrag des Deutschen Ritter-Ordens auf Rückgabe von Burgen und Boden nach dem Gesetz über die Kirchenrestitutionen erweckte Aufregung. Dabei wurde der Orden im Jahr 1938, d.h. noch vor dem Kriege, durch die Nazis enteignet und aufgelöst. Im Jahr 1948 beschloss das Höchste Verwaltungsgericht, dass die Nachkriegs-Konfiskation des Orden-Besitztums nach den Beneš-Dekreten (?) unbegründet war. Doch der Orden hatte (hat) in seinem Namen das Wort „deutsch“ und dadurch ist es wohl vorgegeben, dass es die höchste Aufgabe eines jeden echten Patrioten ist, die Rückgabe des gestohlenen Besitztums zu verhindern. Wäre Oskar Schindler, bekannt durch den Film des Regisseurs Steven Spielberg Schindlers Liste, nicht in Israel begraben, so würden ihn die Nationalisten in Tschechien aus seiner Grabstätte ausgraben.

Bekannt ist die Entschuldigung Václav Havels bei den Sudetendeutschen in seinem privaten Brief an Richard von Weizsäcker, damaligen Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland. Es gibt die Deutsch-Tschechische Deklaration aus dem Jahr 1997, in der die tschechische Seite im Artikel III ihr Bedauern über das durch die Nachkriegs-Vertreibung angerichtete Leid der unschuldigen Menschen ausgedrückt hat. Der Premier Petr Nečas trat am 21. Februar 2013 als erster tschechischer Premier im Bayerischen Landtag auf und wiederholte die in der Deklaration festgehaltenen Worte der Entschuldigung. Jiří Paroubek entschuldigte sich im Namen der tschechischen Regierung bei den deutschen Antifaschisten.

Alle diese Gesten sind nicht ausreichend und haben im Wesentlichen keinen Einfluss auf die öffentliche Meinung, wovon wir in der jüngsten Wahlkampagne um die Präsidentschaft Zeugen wurden. Diese ist nach wie vor durch die nationalistischen Stereotypen und – bis auf die wenigen Ausnahmen – durch das Schweigen über die Nachkriegsereignisse geformt. In Schulen, in Medien, in historischen Arbeiten, sowie in der Kunst.

Nicht im Ausland, sondern hier zu Hause, ist es notwendig zu sagen, dass die Vertreibung selbst und die Enteignung von 3 Millionen deutscher Einwohner Unrecht an den unschuldigen, aber auch schuldigen Menschen war. Sprechen wir auch von den Menschen, die nicht deportiert waren, weil sie ermordet wurden. Und annullieren wir die Rechtsvorschriften aus der Nachkriegszeit über die Straflosigkeit von Verbrechen an Deutschen. Aus heutiger Sicht war die Deportation ethnische Säuberung und Anwendung der kollektiven Verantwortung. Die damaligen Teilnehmer der Potsdamer Konferenz, die Vereinigten Staaten und Großbritannien, würden heute den „Transfer“ nicht billigen. Seine Initiatoren, aber auch die Vollstrecker einschließlich Eduard Beneš würden bei dem Internationalen Strafgerichtshof im Haag enden. Den Gegensatz zu behaupten, entspricht dem Niveau der den Slobodan Miloševič adorierenden serbischen Nationalisten. Die Deutschen haben gründliche Erforschung ihres Gewissens für die Taten des Dritten Reiches durchgemacht und haben sich unzählige Mal entschuldigt. Es ist an der Zeit, dass auch wir, Tschechen, die Verantwortung für das Nachkriegs-Unrecht übernehmen.

Jedes Jahr erinnert sich das tschechische Volk an Lidice, die Politiker halten Reden, legen Kränze nieder. Die Nazis haben hier 173 Männer hingerichtet, insgesamt sind 340 Lidicer Einwohner umgekommen. Erwähnenswert ist an dieser Stelle der Besuch des Sprechers der Sudetendeutschen Landsmannschaft Bernd Posselt in Lidice im Jahr 2010, wo er sich vor den Opfern verbeugt hat und um Vergebung bat.

Es ist an der Zeit, dass auch die tschechischen Politiker einschließlich des Präsidenten sich eine symbolische Stätte zur alljährlichen Erinnerung an die getöteten und deportierten Deutschen auswählen. Vielleicht Švédské šance unweit von Přerov, wo in der Nacht am 18. Juli 1945 tschechoslowakische Soldaten 265 Karpaten-Deutschen massakrierten, davon 120 Frauen und 74 Kinder. Postoloprty, wo man 763 Körper der Getöteten exhumiert hat. Pohořelice, der Ort, über den der Marsch der Vertriebenen aus Brünn geführt hat. Dobronín, wo im Jahr 2011, ganze 66 Jahre nach dem Krieg, die stolzen Kämpfer gegen das deutsche Element das Kreuz, das an die Opfer der Nachkriegs-Mordtaten erinnern sollte, abgesägt haben. Náchod, Liberec, Ústí nad Labem, Domažlice …..

Hören wir endlich auf, die Gewalt an Deutschen mit dem Hinweis auf die Vergeltung für die Kriegsleiden zu billigen und die tschechischen Nazismus-Opfer auszuzählen. Anspruch auf Rache gehört nicht zur zivilisierten Rechtsordnung. Man kann nicht sagen, dass es richtig war, für unsere 100 Toten wenigstens einen Deutschen zu töten. Sollte es gelten „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ so negieren der Stolz auf die Aussiedlung, auf die Grausamkeiten und Morde aus tschechischer Seite die Bestialitäten von Nazismus. Erkennen wir unseren Schuld nicht an und bitten nicht um die Vergebung für die Nachkriegsereignisse, haben wir kein Recht, über die Verbrechen des Dritten Reiches zu sprechen und uns an Lidice, Ležáky oder Terezín zu erinnern.

Verstecken wir uns nicht in Alibi-Weise hinter die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz oder hinter die Behauptung, dass man die deutsche Minderheit nicht anders behandeln konnte. Der Krieg war bereits vorbei und Mord wurde wieder zum Mord. Stellen wir uns die eigene Familie in der Lage der vertriebenen Deutschen vor. Sie sollen Ihre paar Sachen packen, Kinder und die ohnmächtige Oma mitnehmen, das Haus und Feld verlassen, einfach alles, woran Sie gearbeitet haben und was sie mögen. Sie werden auf den Viehwagen geladen und ins fremde Land hinausgeführt. Darüber hinaus wird sie der ehemalige Nachbar mit dem Bajonett in den Rücken stechen, in dem besseren Fall. In dem schlimmeren Fall werden sie oder ihre nahestehenden Personen bestohlen, vergewaltigt oder getötet. Und es gibt unter uns die Zeitzeugen, die immer noch erzählen „… und die Deutsche wollte mir den Kinderwagen nicht geben …“ Hören wir auf, den Götzen der Beneš-Dekrete und nationalistischen Schamanen anzubeten, selbst wenn es der frühere oder der jetzige Burgherr ist. Das Bekenntnis zur Schuld, die Bitte um Vergebung und Versöhnung sind Zeichen der moralischen Stärke, nicht der Schwäche. Und warum sollen wir auf die Ereignisse vor mehr als 60 Jahren zurückblicken? Weil aus schlechten Wurzeln nichts Gutes aufwachsen kann. (Vilém Barák, Publizist)

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