Das Sudetenland als tschechische Kolonie

Samstag,16.August2014 von

Während des Prager Frühlings stellte der tschechische Journalist Vojmir Simonek fest, dass das Sudetenland von 1918 bis 1938 auf der Stufe einer ausgebeuteten Kolonie leben musste (Volkszeitung, 10.5.1968, S. 1). Dieses Urteil regt an, die Geschichte der Sudetendeutschen einmal aus diesem Blick-winkel zu betrachten.
Neben dem Sudetenland lebten allerdings auch die Slowakei, die Karpatenukraine und das Hultschiner Ländchen in kolonialähnlichen Verhältnissen. Dieser Meinung war jedenfalls General M. R. Stefanik, der seine Heimat, die Slowakei, mit einer afrikanischen Kolonie verglich.
Von den imperialistischen Träumen der Tschechen zeugen übrigens auch die von Masaryk inspirierten Kuffner-Karten, die den „maßgeblichen Faktoren“ schon 1917 vorgelegt worden waren und auf denen sich das tschechische „Kolonial-reich“ im Westen bis Regensburg und im Norden bis vor die Tore Berlins erstreckte. Zu Recht geißelte daher die Kommunistische Partei der CSR 1930 auf ihrem VI. Parteitag den „Imperialismus der tschechischen Bourgeoisie“. Auch ist es interessant, dass ein deutscher Emigrant in Prag (F.W. Nielsen) 1939 Chamberlain in einem Offenen Brief vor der Befreiung des Sudetenlandes warnte, weil diese den Freiheits-willen auch der britischen Kolonien beflügeln könnte. Offen-bar waren ihm Ähnlichkeiten aufgefallen (Nielsen, S. 92)!
Landnahme Bei der Errichtung einer Kolonie wird in der Regel militärischer Zwang ausgeübt. Die militärische Besetzung des Sudetenlandes erfolgte von November bis Dezember 1918. Vereinzelt wurde Wider-stand geleistet. Zu Gefechten mit Toten kam es in Wiesa-Oberleutensdorf (2 Tote), Gastorf bei Leitmeritz (2), Brüx (13), Mährisch Trübau (5), Kaplitz (1) und Znaim (1; Quelle: Witikobrief 1973,2, S. 1). Die Sudetendeutschen waren aber kriegsmüde und vertrauten auf die Anwendung des Selbstbestimmungsrechtes bei der Friedenskonferenz. Auch fehlten viele wehrfähige Männer, die Italien den Tschechen zuliebe länger als nötig in Kriegsgefangenschaft gehalten hat.

Die militärische Landnahme wurde durch eine bürokratische ergänzt. Das Bodenreformgesetz vom 15.10.1919 ermöglichte, 31 % (=840.000 ha) des deutschen Grundbesitzes zu beschlagnahmen und zu 94 % an tschechische Neusiedler zu vergeben. Es entstanden überwiegend „Ergänzungswirtschaften“
(= Nebenerwerbssiedlungen bis 4 ha), die in einer Zeit der beginnenden Mechanisierung wirtschaftlich unsinnig waren (Worliczek, S. 190 ff.). Das Ziel war aber kein wirtschaftliches, sondern ein politisches, nämlich die Durchdringung deutschen Siedlungsraumes mit Tschechen.

Sprache
In jeder Kolonie wird die Sprache der Kolonialherren zur Amtssprache erhoben. Das geschah im Sudetenland am 19.02.1920 mit der Verabschiedung eines Sprachengesetzes. Staatsbeamte mussten sich einer Sprachprüfung „auf Abiturniveau“ (Wenzel Jaksch) unterziehen, was 100.000 Sudeten-deutschen die Stellung kostete.

Ausbeutung

Der Kolonialherr duldet „Eingeborene“ nur in untergeordneten, dienenden Stellungen. Das soeben erwähnte Sprachengesetz half weitgehend bei der Lösung auch dieses Problems. Zu einer besonderen Art der Ausbeutung (im Sinne Simoneks) kam es bei der Bewertung der österreichischen Kriegs-anleihe. Sie wurde vom Nachfolgestaat CSR nicht anerkannt, jedoch bei der Festsetzung der Vermö-genssteuer angerechnet! Ungerecht war auch die Gewinnverlagerung vieler Betriebe nach Prag. Während dort am Sitz der Zentralen die Steuern abgeführt wurden, trugen die sudetendeutschen Gemeinden die Soziallasten für die bei ihnen ansässigen Werktätigen (Schreitter-Schwarzenfeld, S.88).

Selbstbestimmung
Kolonialstatus und Selbstbestimmungsrecht schließen einander aus. Daher hat das tschechische Militär die Demonstration vom 4. März 1919 blutig unterdrückt. 54 Frauen, Männer und Kinder fanden dabei den Tod.
Eleganter verfuhr die Bürokratie: Sie untergrub systematisch die kommunale Selbstverwaltung, die der letzte den Sudetendeutschen verbliebene Freiraum war. Die Verwaltungsreform vom 1.1.1928 sah vor, dass bei den Bezirks- und Landesparlamenten ein Drittel der Abgeordneten und der jeweilige Vorsitzende vom Staat ernannt wurden. Diese Konstruktion konnte selbst in einem zu 80 Prozent deutschen Bezirk zu einer tschechischen Mehrheit führen! Die Mitarbeit deutscher Abgeordneter war auch eingeschränkt, weil die Verhandlungssprache Tschechisch war und jährlich nur vier Sitzungen stattfanden. In den Finanzkommissionen der Gemeinden wurde sogar jedes zweite Mitglied „von oben“ ernannt. Im Übrigen machte das Dickicht der kommunalen Verwaltungsvorschriften eine Vielzahl von kleinen Nadelstichen möglich, die aufzuzählen zu weit führte. Erwähnt sei nur die Verstaatlichung der Gemeindepolizei und die notorische Unterfinanzierung der Kommunen aufgrund schleppender Arbeit der Finanzämter (Schreitter-Schwarzenfeld, passim).

Entkolonisierung?
Beim „normalen“ Kolonialismus trat ein, was F.W.Nielsen (s.o.!) vorhergesagt hatte. Wie aber ging es mit den Sudetendeutschen weiter? Nahm die Bevormundung nach dem Anschluss 1938 ein Ende? Einen Hinweis gibt Konrad Henlein schon bald danach in seiner Zeitung „Zeit“ mit dem Artikel: „So haben wir uns die Befreiung nicht vorgestellt“. Als sein Stellvertreter, Dr. Fritz Köllner, einige reichsdeutsche Beamte, die „alle den Sudetengau als eine Art Kolonie behandelt hätten“, mutig ins „Altreich“ zurückschickte, galt er als Separatist und büßte es mit seiner Versetzung auf einen geringeren Posten (Geibel, S. 172). Seinen Nachfolger, den Reichsdeutschen Dennevort, bezeichnete das Ausland als „Zwingvogt des unzufrieden werdenden Sudetenlandes“. Henlein wurde derweilen als „Puppe“ angesehen, die alle Macht an die „Prussian Nazis“ verloren habe (Geibel, ebda. und 181 f.).
Endete die Bevormundung wenigstens nach der Vertreibung? Das zu untersuchen, sollte man sich lieber versagen! Angemerkt sei nur, dass eine Demokratie in der Lage sein müsste, auch die Rechte von Minderheiten zu berücksichtigen. (F.V.)
Quellen: Geibel, Ralf, Heim ins Reich, München 1999; Nielsen, Frederic Walter (wirklich Fritz Wallensteiner aus Stuttgart): Es begann in Prag, Freiburg 1984; Schreitter-Schwarzenfeld, Die Finanzwirtschaft der sddt, Gemeinden u. Bezirke 1918 bis 1938, München 1965; Worliczek, Camillo, Grundlagen, Grundsäze und Kritik der tschechoslowakischen Bodenreform, 1926

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