Beginn des 2. Welkrieges/ „schwarz-weiß“ Malerei nicht möglich

Donnerstag,20.November2014 von

Der Beginn des 2. Weltkrieges (aus Witikobrief 4/2014)
(Referat gehalten vor der Mitgliederversammlung des Witikobundes am 12.10.20124 von F.Volk)
Die Vertreibung wird oft als Folge des von den Deutschen begonnenen 2. Weltkrieges dargestellt.
Viele neigen daher, vorschnell „selbst schuld“ zu rufen, doch das Bild ändert sich, wenn man die Problematik im Lichte von Recht und historischer Wahrheit betrachtet. Maßgebend sind folgende Punkte:
1. Kein Unrecht kann durch ein anderes, ihm vorausgegangenes Unrecht gerechtfertigt werden.
2. Vertreibungen sind Kollektivstrafen, die völkerrechtlich untersagt sind.
3. Seit 1924 kennen die Genfer Protokolle einen erweiterten Aggressionsbegriff, den sich 1974 auch die Generalversammlung der UN zu eigen gemacht hat. Als Angreifer gilt nicht immer der, der den ersten Schuss abgegeben hat, sondern auch, wer Schlichtungs-verhandlungen verweigert.
Schließlich muss betont werden, dass Polen und seine Unterstützer nicht als die gutgläubigen und naiven Nachbarn urplötzlich vom deutschen Angriff überrascht wurden. Ein Bonmot sagt sogar, dass die größte Sorge der Briten im August 1939 darin bestand, dass sich Deutschland und Polen doch noch gütlich einigen könnten!
Die Modellierung Polens
Als im Jahre 1919 der polnische Staat wiedererrichtet wurde, beruhte das auf Punkt 13 des 14-Punkteplanes Präsident Wilsons. Polen erhielt dabei ein ansehnliches Staatsgebiet mit Zugang zur Ostsee. Dabei nahm man in Kauf, dass Ostpreußen vom Deutschen Reich abgeschnitten wurde und eine starke deutsche Minderheit unter polnische Oberhoheit kam. Am krassesten war das in Danzig, das zu 97 Prozent deutsch war. Polen bestand aber auf dem Zugang zu Danzig, da sich dort der einzige Überseehafen der Region befand. So kam man auf die Idee, Danzig zum Mandatsgebiet des Völkerbundes zu erklären, um das gerade von Präsident Wilson so betonte Selbstbestimmungsrecht nicht ganz ad absurdum zu führen. Diese Konstruktion wurde von unzähligen Zeitgenossen sofort als Keim künftiger Kriege erkannt, und ihre Erkenntnis erwies sich rasch als richtig.
Kriegsgrund Danzig
Nach Verabschiedung der Verfassung der Freien Stadt Danzig am 15. November 1920 dauerte es nur drei Monate, bis Polen beantragte, als Protektoratsmacht über den Freistaat eingesetzt zu werden und dort Truppen stationieren zu dürfen. Der Völkerbund lehnte das 1920 und 1921 zweimal ab. Dennoch legte Polen 1921 24 eigene Behörden, darunter die Eisenbahndirektion für ganz Polen, in die Stadt und verlangte für sie einen exterritorialen Status. Der Rat des Völkerbundes lehnte ab und bestätigte, dass polnische Einrichtungen und Beamte in Danzig der Danziger Gerichtsbarkeit unterliegen. Die Truppenstationierung auf der Westerplatte erfolgte 1933 schließlich doch.
Polen dehnte sein Postnetz auf ganz Danzig aus, obwohl die polnische Post nach dem Versailler Vertrag nur für den Hafen zuständig war. 1921 begannen die polnischen
Behörden die Danziger Pässe einzuziehen und gegen polnische zu tauschen. Polen weigerte sich, die Völkerbund-währung, den Danziger Gulden, als Zahlungsmittel anzunehmen. Gegen all diese Versuche schritt der Völkerbund ein. Das traf auch zu für die Anlage eines Munitionsdepots im Danziger Hafen. 1923 wies der Völkerbund den Polen aber eine Halbinsel vor der Stadt, die Westerplatte, für diesen Zweck zu. Bis 1933 musste sich der Völkerbund mit 106 Streitfällen zwischen Danzig und Polen befassen.
1939 führte das Tauziehen um Danzig zur personellen Verstärkung der Wachmannschaft beim Munitionsdepot (von 88 Mann auf 240) und der Zollbeamten (von 6 auf 110). Die Zollbeamten wurden bewaffnet, und es kam zu Behinderungen des Warenverkehrs (Öl- und Heringsexport).

Kriegsgrund Bahnlinien
Für die Versorgung Ostpreußens standen acht Bahnstrecken zur Verfügung. Deutschland musste für ihre Benutzung bezahlen, und zwar in Zloty. Infolge der Weltwirtschaftskrise nahm Deutschland zu wenig Zlotys ein und zahlte in Reichsmark. Polen lehnte diese Währung ab und sperrte nach und nach alle Bahnlinien bis auf eine. Das brachte Deutschland auf den Gedanken einer exterritorialen Verbindung. Dieser Vorschlag war Gegenstand der Verhandlungen bis zum Kriegsausbruch.

Kriegsgrund Unterdrückung
Sofort nach der Abtrennung des Korridors vom Reich im November 1920 verließen 200.000 Deutsche dieses Gebiet. Dabei dürfte es sich, wie im Sudetenland 1938, vermehrt um deutsche Staatsbeamte gehandelt haben. Bis 1934 stieg die Zahl der Flüchtlinge auf 1,2 Millionen. Sie wichen dem Druck, der durch Entzug von Geschäfts- und Berufslizenzen, durch Schließung von Schulen, durch Anschläge auf die körperliche Unversehrtheit, durch Brandstiftung, durch Zerstörung kultureller Einrichtungen und nach sonstigen Schikanen ausgeübt wurde. Im Jahre 1939 alleine verließen 90.000 Deutsche Polen, um dem ausgeübten nationalen Druck zu entkommen. Schließlich sah Hitler in der Verfolgung der Deutschen das vordringlichste Problem und war bereit, die beiden anderen Verhandlungsziele (Bahnlinien, Danzig) hintan zu stellen.

Untätigkeit des Völkerbundes
Jedem Verantwortungsträger in Europa und den USA waren die geschilderten Missstände bekannt. Sogar
Churchill mahnte 1932 seine Regierung, die Frage Danzigs und des Korridors wieder aufzurollen, da sonst keine Hoffnung auf dauerhaften Frieden bestünde (Schulze-Rhonhof, S. 15). Versagt hat hier wiederum der Völkerbund, denn Artikel 19 des Versailler Vertrages sah vor, „unanwendbar gewordene Verträge und solche internationale Verhältnisse, deren Aufrechterhaltung den Weltfrieden gefährden“ alle zehn Jahre nachzuprüfen. Nichts aber geschah.
Daher nahm Hitler die Dinge in die Hand.

Hitlers Verhandlungsposition
Hitler bot Polen die endgültige Anerkennung der Gebietsgewinne in Posen, Westpreußen und Oberschlesien an, wozu sich vorher keine der sechzehn Regierungen der Weimarer Republik bereit erklärt hatte. 1938 hatte Hitler den Polen als Zeichen seines guten Willens die teils deutsche Industriestadt Oderberg im Teschener Gebiet überlassen. Hitler wünschte dafür:
1. Wiedervereinigung Danzigs mit dem Reich
2. Eine exterritoriale Verkehrsverbindung nach Ostpreußen
3. Beachtung der Menschenrechte für die deutsche Minderheit
4. Verlängerung des Freundschaftsvertrages zwischen beiden Ländern auf 25 Jahre.
Als Polen nicht darauf einging, verbesserte Hitler sein Angebot: Danzig kommt politisch zu Deutschland, aber bleibt wirtschaftlich bei Polen. Das war ein sehr moderater Vorschlag, auch weil Danzig ja gar nicht zu Polen gehörte, sondern Mandatsgebiet des Völkerbundes war. Polen blieb bei seiner Ablehnung.

Exkurs: Die Protektoratserrichtung
Vielfach wird behauptet, die Einigung mit Polen wäre zustande gekommen, hätte Hitler mit der Protektoratserrichtung am 15. März 1939 nicht alles selbst verdorben. Schulze-Rhonhof hält dem aber entgegen, dass der französische Premierminister Daladier und sein Außenminister Bonnet schon im Januar von Warschau gefordert haben, „den Forderungen gewisser Nachbarn ein kategorisches Nein entgegenzusetzen“. Ebenfalls schon im Januar bedrängten auch Roosevelt und Chamberlain die Polen, nicht nachzugeben. Bei Nicoll lesen wir (S. 62/69), dass sich Chamberlain schon bei seinem Italienbesuch für evtl. militärische Maßnahmen gegen Deutschland ausgesprochen hatte. Im Übrigen wäre das Protektoratsargument glaubwürdiger gewesen, wenn sich Frankreich und England vor dem 15. März 1939 eindeutiger verhalten hätten. So hatte Deutschland London und Paris schon am 28.2.1939 in einer formellen Note vor einem drohenden Zerfall der CSR gewarnt. Beide schwiegen dazu (Hoggan 1963, S. 387 f.). Als Hitler Chamberlain gemäß dem Konsultationsabkommen vom 30.9.1938 über seine CSR-Pläne informierte, wollte sich dieser in „Angelegenheiten, die andere Länder unmittelbarer angehen“ nicht einmischen (Woltersdorf, S.36). Das teilte der britische Botschafter in Berlin, Henderson, am 14.3. 1939 spät abends dem deutschen Außenminister mit (Klüver 1997, S. 286). Die deutsche Regierung hatte durch ihren Abhördienst davon allerdings schon früher erfahren. Schon im November 1938 hintertrieb England Frankreichs Plan, der CSR eine Bestandsgarantie zu geben (Hoggan, S.366 f.).
Das Protektoratsargument scheint daher ein ex post-Argument zu sein.

Wachsende Spannungen
Polen lehnte mehrmals die von Deutschland vorgebrachten Wünsche ab. Nachdem am 22.3.1939 das Memelland zu Deutschland zurückgekehrt war, ordnete Polen eine Teilmobilisierung seiner Armee an. England sprach am 30. 3.1939 eine Bestandsgarantie für Polen aus. Das wirkte sich ebenso fatal aus wie die Bündnisgarantie des Deutschen Reiches am 6.7.1914 für Österreich. Außenminister Beck fühlte sich gestärkt und hielt am 5. Mai 1939 eine herausfordernde Rede, in der er aber die deutsche Grenzgarantie für den Korridor verschwieg. Diese Rede putschte seine Landsleute zu verstärkten Ausschreitungen gegen die deutsche Minderheit auf. Den am 28.6.1919 unterzeichneten Minderheitenschutzvertrag hatte Polen schon am 13.9.1934 gekündigt. Die Zahl der vor dem 1.9.1939 getöteten Deutschen schätzt Udo Walendy auf 3-4.000. Prominentestes Opfer war am 30. August 1939 der deutsche Konsul in Krakau, Schallinger. Alleine dies wäre nach Völkerrecht schon ein Kriegsgrund gewesen. Die polnische Kriegsbereitschaft war unübersehbar. In den Kirchen wurde „um den allgemeinen Krieg“ gebetet, der Kampf gegen Deutschland wurde als Kreuzzug gegen das Neuheidentum bezeichnet, auf neuen Landkarten war Polen schon großzügig um die benachbarten Gebiete erweitert, Briefmarken zeigten schon im Januar 1939 Danzig als Teil Polens und Staatspräsident General Rydz-Smigly ließ von sich ein Gemälde anfertigen, das ihn in voller Uniform vor dem Brandenburger Tor zeigte. Die britische Zeitung Daily Mail vermisste eine Erklärung der englischen Regierung gegen die polnische Deutschenhetze. Objektiv sei festzustellen, dass von deutscher Seite keine Hetzreden gehalten würden. Wenn England die Dinge so weitertreiben lasse, werde es „mitschuldig, wenn es zur Explosion kommen sollte“ (Walendy, S. 317). In Polen kannte man 60 antideutsche Hetzlieder, in Deutschland kein einziges.

Diplomatisches Ränkespiel
Der polnische Botschafter Lipsky hatte sich (auch auf Drängen des britischen Botschafters Sir Howard Kennard) seit April 1939 nicht mehr in Berlin sehen lassen. Am 28. August 1939 deutete London in einer Note Polens Verhandlungsbereitschaft an (AA, Nr. 2, S. 427). Da Lipsky abgetaucht war, bat Deutschland England um Vermittlung und überreichte am 29.8.1939, 19.25 Uhr, ein Verhandlungsangebot. London gab es aber erst am 30.8. gegen Mitternacht, also 28 Stunden später, in Warschau bekannt. In London erfuhr die Öffentlichkeit sogar erst am 31.8. um 12.25 Uhr, also 40 Stunden später, vom deutschen Vorschlag, wobei dreist hinzugefügt wurde, er sei zu spät eingetroffen (Franz-Willing, 1992, S. 117). Als am selben Tage die Abendausgabe des Daily Telegraph in unfreiwilliger Wahrheitsliebe den zeitlichen Ablauf zutreffend darstellte, wurde diese Zeitungsfolge sofort beschlag-nahmt und durch eine um diese Stelle bereinigte Ausgabe ersetzt (Franz-Willing, 1992, S. 118). Durch Zeitungszensur wurde auch in Paris die öffentliche Meinung gelenkt.
Deutschland hatte den 30.August für Verhandlungen vorgesehen und dafür die „16 Marienwerder Punkte“ vorbereitet. Darin wurde eine Volksabstimmung für das nördliche Korridorgebiet vorgeschlagen. Je nach Ausgang sollte dem jeweils unterlegenen Teil der Bau exterritorialer Verkehrswege nach Gdingen bzw. Ostpreußen gestattet werden. Damit verbunden war wieder die Garantie der polnischen Grenzen, d.h. ein Verzicht auf die Korridorgebiete. Henderson nannte diese Vorschläge sehr gemäßigt und „weit davon entfernt, ungerechtfertigt oder unmoralisch zu sein“ (Franz-Willing, 1992, S. 115). Deutschland wartete jedoch vergebens auf einen polnischen
Unterhändler. Als Lipski am 31.8.1939 abends um 18.30 Uhr zu Ribbentrop kam, hatte er, wie Görings Abhördienst bereits wußte, aus Warschau die Anweisung, sich auf keine sachliche Diskussion einzulassen (Benoist-Mechin, S. 511). Die Unterredung war daher nach wenigen Minuten beendet (Benoist-Mechin, S. 522). Nach den Genfer Protokollen von 1924 gilt, wie bereits eingangs erwähnt, als Angreifer, wer Verhandlungen verweigert. Einen Aggressionsbegriff, der nicht alleine auf den
ersten Schuß abstellt, machte sich 1974 auch die Generalversammlung der UN zu eigen.
Beck verschwieg die Grenzgarantie,

Roosevelts Geheimnis
Durch Verrat des deutschen Botschaftsangehörigen Hans Herwarth von Bittenfeld (1904-1999) kannte Roosevelt schon wenige Stunden nach Ende der Moskauer Verhandlungen vom 23.8.1939 den Inhalt des Geheimen Zusatzabkommens zwischen Deutschland und Russland. Es sah im Konfliktfalle die Besetzung Ostpolens durch die Sowjetunion vor. Roosevelt behielt sein Wissen aber für sich, um Polen nicht vom Kriegskurs abzubringen. Der Verrat führte am 25.8.1939 auch dazu, die Polengarantie Englands auf einen Konflikt mit Deutschland zu beschränken. Englands Kriegswille zeigte sich schon am 15. 8. 1939 auf der Konferenz der Interparlamentarischen Union in Oslo. Als der US-Amerikaner Hamilton Fish als Vorsitzender der Versammlung einen Beschluss für ein Kriegs-moratorium von 30 Tagen herbeiführen wollte, verhinderte dies England zusammen mit Norwegen. Fish war wenige Tage vorher in Salzburg mit Ribbentrop zusammengetroffen und kannte den Ernst der Lage (Fish, S. 123 ff.).
Keine Schwarz-Weiß-Malerei
Bei sorgfältiger Bewertung aller Informationen bleibt die Erkenntnis, dass aufrichtige Friedenspolitik anders ausgesehen hätte. Eine Schwarz-Weiß-Malerei sollte der Vergangenheit angehören.

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