Eine schlaflose Nacht für Thomas G.Masaryk

Montag,15.September2014 von

Nach Gründung des tschechoslowakischen Staates galt bei den neuen Machthabern die Beseitigung
der im Sudetenland sehr zahlreich vorhandenen Josef II.-Denkmäler als eine der vornehmsten
revolutionären Taten, denn Josef II. galt bei ihnen als Unterdrücker der tschechischen Sprache.
Diese Meinung äußerte auch Jan Masaryk, der Sohn des ersten Präsidenten,
während eines Besuches bei Fürst Clary-Aldringen in Teplitz. Dieser legte ihm
jedoch sofort ein in rotes Leder gebundenes Buch vor, dessen Deckel wie
Rückseite vollkommen gleich aussahen. Auf beiden Seiten prangte der in Gold
geprägte böhmische Löwe, und man konnte das Buch von beiden Seiten öffnen.
Es enthielt den Bericht Kaiser Josefs II. über den böhmischen Staatshaushalt
eines seiner Regierungsjahre (1780-1790), und der einzige Unterschied war, daß
man ihn von der einen Seite auf deutsch und von der anderen auf Tschechisch
lesen konnte. Keine der beiden Seiten wurde bevorzugt, und es herrschte völlige
Gleichheit. Das machte Jan Masaryk verlegen, und er bat den Fürsten, das Buch seinem Vater zeigen
zu dürfen. Als er es wieder zurückbrachte, sagte er: „Sie haben meinem Vater eine schlaflose Nacht
bereitet, er ahnte nicht, daß so verwaltet wurde.“
Wie sehr Masaryk und seine denkmalstürzenden Zeitgenossen irrten, geht auch aus tschechischen
Quellen selbst hervor. So preist der tschechische Custos der k.k. Universitätsbibliothek Brünn, Johann
Alois Hanke, im Jahre 1782 die Verdienste des „Volkskaisers“ um die Wiederherstellung der böhmischen
Sprache und Literatur. „Laut, so laut als möglich erschalle die Nachricht …. daß Joseph der
zweyte, römischer Kaiser, …. ein Gönner der slavischen Sprache sey.“ Und Hanke berichtet weiter:
Als der Kaiser 1781 die Ritterakademie in Brünn besuchte, wollte er wissen, welche Sprachen die
„Kavaliers“ lernten. Man antwortete „Franz-Welsch und Englisch“. Darauf der Kaiser: „Warum
nicht Böhmisch? Ich habe ja mehr böhmische Untertanen als französische und englische!“
Wieder einmal zeigt sich, daß Vorurteile und Verleumdungen besonders verbreitet sind, wenn es um
die gerechte Beurteilung deutschen Handels geht. (F.V.)
Quellenangaben: Alfons Clary-Aldringen, Geschichten eines alten Österreichers, Ullstein 1982, S. 126;
Johann Alois Hanke, Empfehlung der böhmischen Sprache und Litteratur, nebst einem Versuch über die leichteste und
nützlichste Lehrart der beiden Gegenstände“, o.O.1782, zitiert nach Dr. G.G., Joseph II und die tschechische Sprache, in:
Sudetendeutsche Monatshefte, Jg. 1936, S. 196 ff.

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