75 Jahre „Wiesbadener Abkommen“

Dienstag,4.August2020 von

(v.l.n.r.) Eugen de Witte, Dr. Karel Locher, Dr. Rudolf Lodgman von Auen, General Lev Prchala, Richard Reitzner und Hans Schütz.

75 Jahre Wiesbadener Abkommen

 

Am 4. August 1950  – einen Tag bevor die „Charta der deutschen Heimatvertriebenen” in Stuttgart von Vertretern ostdeutscher Vertriebenenverbände und Landsmannschaften unterzeichnet wurde einigten sich tschechische Exilpolitiker und sudetendeutsche Politikern in Wiesbaden auf das sogenannte „Wiesbadener Abkommen”.

Das Wiesbadener Abkommen ist eine unterschriebene Willenserklärung des Tschechischen Nationalausschusses und der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung sudetendeutscher Interessen.

  1. Beide Teile stehen auf dem Boden der demokratischen Weltanschauung und lehnen jedes totalitäre System ab.

Beide Teile betrachten eine demokratische Ordnung der Verhältnisse im böhmisch-mährisch-schlesischen Raum als einen Teil des Kampfes für ein einheitliches Europa. Dieses kann nach ihrer Überzeugung nur dadurch erreicht werden, dass sich seine Völker ohne Zwang in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes zusammenfinden.

  1. Beide Teile anerkennen den Grundsatz, dass in der Emigration niemand berechtigt ist, ein Volk zu verpflichten.

Es ist der berufene Herr seines Schicksals und soll sich frei entscheiden können, welchen Weg es gehen will. Nur ein Volksentscheid kann endgültig bestimmen.

  1. Beide Teile betrachten die Rückkehr der vertriebenen Sudetendeutschen in ihre Heimat als gerecht und daher selbstverständlich.

Sie sind sich dessen bewusst, dass diese Rückkehr nur dann erfolgen kann, wenn auch das tschechische Volk befreit ist. Deshalb wollen sie alles tun, um seine Befreiung zu verwirklichen.

  1. Beide Teile lehnen die Anerkennung einer Kollektivschuld und des aus ihr fließenden Rachegedankens ab,

sie verlangen aber die Wiedergutmachung der Schäden, die das tschechische Volk und das sudetendeutsche Volk erlitten haben und die Bestrafung der geistigen Urheber und der ausführenden Organe der begangenen Verbrechen. Diese Maßnahmen erscheinen beiden Teilen notwendig, weil die Geschehnisse der letzten Jahrzehnte ein freundschaftliches Nebeneinanderleben beider Völker unmöglich machen, solange die jetzige Generation lebt, weil sie an der Begehung der Verbrechen an Gut und Leben unmittelbar beteiligt war, entweder als Täter oder als Opfer und weil sie auf beiden Seiten die Erinnerung an diese Ereignisse nicht auslöschen könnte, auch wenn sie es wollte, wenn sich nicht ihr wertvoller Teil von den Verbrechern trennt. Die Durchführung dieser Maßnahmen sollte nach Ansicht beider Teile durch die eigenen Volksgenossen erfolgen, die Verbrechen sind ja nicht nur gegen das andere, sondern auch gegen das eigene Volk begangen worden, dessen Ruf und Ansehen in den Augen aller anständigen Menschen schwer geschädigt wurden.

  1. Beide Teile sind darin einig, dass über die endgültigen staatspolitischen Verhältnisse gemäß Punkt 2 beide Völker entscheiden sollen, sobald die Befreiung des tschechischen Volkes und die Rückkehr der Sudetendeutschen erfolgt sein werden. Da die Voraussetzungen heute nicht überblickt werden können, beide Völker durch ein Jahrtausend im böhmisch-mährisch-schlesischen Raum in engster Nachbarschaft gelebt haben und auch in Zukunft leben werden, so haben beide Teile beschlossen, einen Föderativausschuss einzusetzen, der die Voraussetzungen hierfür schaffen soll. Beide Teile nehmen an diesem Ausschuss gleichberechtigt teil.
  2. Dieser Entwurf unterliegt der Ratifizierung durch den Tschechischen Nationalausschuss einerseits und durch die Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung sudetendeutscher Interessen, München, andererseits. Bis dahin wird er als vertraulich betrachtet, er soll nach der Ratifizierung veröffentlicht werden.
  3. Dieses Übereinkommen ist in der deutschen und der tschechischen Sprache abgefasst worden, beide Ausfertigungen werden vom Präsidium der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung sudetendeutscher Interessen, München, einerseits und von General Prchala in Vertretung des Tschechischen Nationalausschusses, London, andererseits unterschrieben. Beide Ausfertigungen gelten als authentisch.

München-London, Freitag, den 4. August 1950

 

Für die Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung sudetendeutscher Interessen das Präsidium:

Rudolf Lodgman von Auen, Sprecher des Bundesverbandes der Sudetendeutschen Landsmannschaft.

Richard Reitzner, Abgeordneter des Deutschen Bundestages (SPD).

Hans Schütz, Abgeordneter des Deutschen Bundestages (CSU).

Für den Tschechischen Nationalausschuß:

General Lev Prchala.

Vladimir Pekelsky.

Siehe auch hier: https://nassmer.blogspot.com/2011/01/das-wiesbadener-abkommen-zwischen-dem.html?m=1

Auf der Weltkonferenz für moralische Aufrüstung im Schweizer Ort Caux im selben Jahr bat General Prchala die Deutschen um Entschuldigung:

„Ich fühle mich verpflichtet, die Sünden, die mein Volk gegenüber dem Nachbarvolk begangen hat, nicht nur zu bekennen, ich möchte mich bei meinen sudetendeutschen Freunden dafür entschuldigen, besonders für das Unrecht, das wir Tschechen ihnen angetan haben. Ich verspreche, alles zu tun, um den Schaden, den wir ihnen zugefügt haben, wieder gut zu machen und mit ihnen eine bessere und glücklichere Zukunft im Geiste von Caux aufzubauen.”

Bis heute heißt es bekanntlich, Präsident Vaclav Havel sei der erste führende Tscheche gewesen, der sich Anfang 1990 bei den Sudetendeutschen „entschuldigt“ habe. Tatsächlich hatte er damals erklärt, er habe „wie viele seiner Freunde die Vertreibung der Sudetendeutschen stets als zutiefst unmoralische Tat betrachtet”.

Mit dem Wiesbadener Abkommen und der Rede Prchalas 1951 in Königstein gibt es aber Aussagen von tschechischen Exilpolotikern, die vier Jahrzehnte älter sind und viel weiter gehen als das Bedauern Havels, welches gar keine Entschuldigung war !

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