Die „andere Rechtsauffassung“ des tschechischen Vertreiberstaates.

Donnerstag,30.Januar2020 von

Aus der sogenannten „deutsch-tschechischen Versöhnungserklärung“ des BRD-Bundestages am 30. Jänner 1997.

Text zusammengestellt aus den Seiten 170-189 aus dem im Jahr 2001 erschienenen Buch von Heinz Nawratil:  „Schwarzbuch der Vertreibung 1945-48. Das letzte Kapitel unbewältigter Vergangenheit“

Am 30. Januar 1997 billigte der Bundestag einen Text, der von Politikern als deutsch-tschechische Versöhnungserklärung, von den Vertriebenen als Verhöhnungserklärung und von Sachkennern als Meisterleistung tschechischer Diplomatie charakterisiert wurde. Die Lektüre des Originaltextes (z. B. in der „FAZ“ vom 11.12.1996) ist …nun, sagen wir: erstaunlich. In Ziff. 2 des Papiers heißt es z. B.: „Die deutsche Seite bekennt sich zur Verantwortung Deutschlands für seine Rolle in einer historischen Entwicklung, die zum Münchner Abkommen von 1938, der Flucht und Vertreibung von Menschen aus dem tschechoslowakischen Grenzgebiet. ..geführt hat.“ Hier bekennt sich Bonn verantwortlich für etwas, das es nie gegeben hat – eine Tschechenvertreibung aus dem Sudetenland 1938. Diese grobe Geschichtsklitterung als Aufrechnungsmasse in die Verhandlungen einzubringen war für Prag natürlich riskant, aber nachdem man die Sudetendeutschen als Hauptbeteiligte und Wissensträger vom Verhandlungstisch verdrängt hatte, konnte man hoch pokern. Außerdem fällt auf, daß das Ende der tschechischen Fremdherrschaft im Sudetenland als deutsche Schuld verbucht wird, der tschechische Einmarsch in diese Teile der Republik Deutschösterreich im Winter 1918/1919 und damit der Beginn dieser Fremdherrschaft überhaupt nicht vorkommt. Nach dieser Moral müßten wohl auch die Saar-Abstimmung von 1935 und die Rückkehr ins Reich als Unrecht gegenüber Frankreich gelten. In Ziff. 4 wird ausgeführt, daß „jede Seite ihrer Rechtsordnung verpflichtet bleibt und respektiert, daß die andere Seite eine „andere Rechtsauffassung“ hat. Beide Seiten erklären deshalb, daß sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden.“ Das also war des Pudels Kern! Während im deutsch-tschechischen Nachbarschaftsvertrag von 1992 Vermögensansprüche noch ausdrücklich ausgeklammert waren, erklärt jetzt Bonn durch die Blume, dass keine Wiedergutmachung verlangt wird. Prag kann frohlocken: Man ist den Ruch des Völkermordes los und kann zugleich seine Beute behalten. Ja, sogar das berüchtigte Gesetz Nr. 115 vom 8. Mai 1946 über die Rechtmäßigkeit von Vertreibungsverbrechen bleibt unangetastet. Während in Deutschland NS- Verbrecher seit über 50 Jahren und auch noch über die Jahrtausendwende hinaus verfolgt werden und der ab 1933 unrechtmäßig enteignete, „arisierte“ bzw. geraubte Besitz zurückgegeben wird, können tschechische Räuber und Mörder künftig ruhig schlafen. Ziff. 7 der Erklärung kündigt an: „Beide Seiten werden einen deutsch-tschechischen Zukunftsfonds errichten. Die deutsche Seite erklärt sich bereit, für diesen Fonds den Betrag von 140 Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Die tschechische Seite erklärt sich bereit, ihrerseits für diesen Fonds einen Betrag von 20-25 Millionen DM zur Verfügung zu stellen … Die deutsche Seite bekennt sich zu ihrer Verpflichtung und Verantwortung gegenüber all jenen, die Opfer nationalsozialistischer Gewalt geworden sind. Daher sollen die dafür in Frage kommenden Projekte insbesondere Opfern nationalsozialistischer Gewalt zugute kommen.“ Während in Ziff. 4 erklärt wird, daß die gegenseitigen Beziehungen „nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden … Fragen belastet werden“, erscheinen in Ziff. 7 plötzlich doch Ansprüche „aus der Vergangenheit“, allerdings einseitig, nur zur Entschädigung tschechischer Opfer. Der „Zukunftsfonds“  ist also in Wirklichkeit ein Vergangenheitsfonds. Vollends unbegreiflich muß der Zukunfts-/Vergangenheitsfonds demjenigen vorkommen, der sich die Mühe macht, z. B. das tschechoslowakische Präsidialdekret Nr. 12 vom 21. Juni 1945 „über die Konfiskation … des landwirtschaftlichen Vermögens der Deutschen, Madjaren, wie auch der Verräter und Feinde …“ zu lesen. Dort wurde nämlich in § 7 AbS.6 „ein Vorzugsrecht auf Zuteilung“  u. a. den „ehemaligen politischen Häftlingen und Deportierten und ihren Familienangehörigen und gesetzlichen Erben“ eingeräumt. In § 12 wird dann das enteignete Vermögen ausdrücklich als „Ersatz der Schäden“ von Personen bezeichnet, die „während der Okkupation aus nationalen, politischen und rassischen Gründen verfolgt wurden“. In ähnlicher Weise bestimmte das Dekret Nr. 108 vom 25. Oktober 1945 über die totale Enteignung der deutschen und ungarischen Bevölkerung in § 7, daß das „konfiszierte Vermögen“ außer für „Teilnehmer am nationalen Widerstand“ vor allem für Personen vorgesehen sei, die durch „nationale, rassische und politische Verfolgung geschädigt wurden“. Diese zentralen Benes-Dekrete, abgedruckt in Band IV.1 der „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa“ des ehemaligen Vertriebenenministeriums, in jeder größeren Bibliothek nachzulesen, scheint die deutsche Delegation schlicht übersehen zuhaben. Schon die „Einleitung“ zur deutsch-tschechischen Erklärung erwähnt, „daß die Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme der Tschechischen Republik in die Europäische Union und die Nordatlantische Allianz nachdrücklich und aus Überzeugung heraus unterstützt“. Daß die EU-Osterweiterung um sechs Staaten allein mittelfristig (von 2000 bis 2006) rund 150 Milliarden DM kosten und fast ausschließlich von den 15 Altmitgliedern zu finanzieren ist, verlautbarte die EU-Kommission am 16. Juli 1997. Deutschlands Nettozahlerposition in Brüssel wird sich dadurch zweifellos verschlechtern. Bei der Nato-Osterweiterung streiten die Fachleute noch über die genaue Höhe der Kosten, aber auch hier dürften vergleichbare Summen aufzubringen sein, muß doch veraltetes Kriegsgerät ersetzt und das verbleibende – vom Kaliber der Waffen bis zu den Benzineinfüllstutzen der Panzer – den Nato-Normen angepaßt werden. Wer wird’s wohl zahlen?

Aus der Sicht der tschechischen Chauvinisten ergibt sich eine sensationelle Gewinnrechnung: ein reiches Land mit hochentwickelter Industrie von der Größe Israels und der Einwohnerzahl der Republik Irland unbeschädigt und ethnisch gesäubert angeeignet. Was die Einwohner in 800 Jahren fleißiger Arbeit den Urwäldern abgerungen hatten, ein unvorstellbarer Wert, mit einem Federstrich politisch hypotheken- und lastenfrei erworben, und kann nun weiter gewinnbringend genutzt werden. Zusätzlich 140 Millionen Mark aus dem „Zukunftsfonds“ für tschechische Empfänger kassiert – eine stattliche Summe angesichts der geringen Zahl tschechischer NS-Opfer. Zusätzliche Milliarden von der Nato zur Modernisierung und Harmonisierung der militärischen Ausrüstung. Zusätzlich laufende Milliardenzahlung aus den Töpfen der EU.

Weitsichtig kommentierte schon 1992 Weihbischof Pieschl, der Vertriebenenbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, in einem Leserbrief: „Daß die CSFR -Seite die rechtlichen Folgen der Anerkennung des Vertreibungsunrechts möglichst gering halten will, ist aus ihrer Sicht verständlich, zumal auf deutscher Seite von den stärksten politischen Kräften die Interessenlage der Sudetendeutschen nicht eingebracht wird. So entsteht ein Ungleichgewicht, das einen gerechten Ausgleich nicht zuläßt. Für die (CSFR) gibt es auf deutscher Seite keinen »Streitpartner«. „

In vornehmer Weise umschreibt hier der Bischof die Tatsache, daß der deutsche Außenminister schlicht und einfach seinen Amtseid vergessen hat, nämlich „den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren, Schaden von ihm zu wenden und Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben“ (Art. 64 und 56 des Grundgesetzes ). In der Präambel der deutsch-tschechischen Erklärung ist schließlich von Versöhnung die Rede. Dazu sollte man folgendes wissen: Nach Meinungsumfragen von 1995 betrachten 68 Prozent der Tschechen die Vertreibung als „berechtigte Vergeltung“. 86 Prozent lehnen eine Entschuldigung bei den Vertreibungsopfern ab. Auf eine Erklärung „Versöhnung 95“ von 105 tschechischen und deutschen Intellektuellen, in der Gespräche mit den betroffenen Sudetendeutschen gefordert werden, und einen ähnlichen Appell tschechischer und deutscher Bischöfe reagierte der tschechische Ministerpräsident Klaus in einem Zeitungsartikel sarkastisch: „Falls 105 Menschen auf beiden Seiten meinen, daß ein Dialog notwendig ist, dann laßt sie diesen Dialog selber führen.“ Der Text spreche von Versöhnung, aber er, Klaus, wisse nicht, zwischen wem. Falls sich jemand unversöhnt fühle, so solle man ihn sich versöhnen lassen, vgl. „FAZ“ vom 3.4.1995. Für eine wirkliche Versöhnung wäre das einzig dauerhafte Fundament die Wahrheit und der Respekt vor den Menschenrechten der anderen gewesen. Wer Völkerverständigung will, wird alles tun, um so schnell wie möglich alles Trennende zu beseitigen, und dazu gehört nun einmal auch ein Berg von Toten. Man muß sie aber ordentlich bestatten; mit einer Leiche im Keller hat noch keiner Frieden gefunden. Herbert Wehner sah die Dinge (1965 im Süddeutschen Rundfunk) realistisch: „Eine Versöhnung ohne das Recht ist eine Art der Unterwerfung.“

International bedeutet der von tschechischer Seite angestrebte „dicke Schlußstrich“ ohne jegliche Aufarbeitung der Vergangenheit ein Erfolgsmodell für den nächsten Fall von Völkermord. In der Frankfurter Paulskirche konstatierte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Jose Ayala Lasso, am 28.5.1995: „Wenn die Staaten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mehr über die Vertreibung der Deutschen nachgedacht hätten, dann wären die heutigen Katastrophen und Vertreibungen, die vor allem als ’ethnische Säuberungen’ bezeichnet werden, vielleicht nicht in diesem Ausmaß vorgekommen.“

Zu guter Letzt sei erwähnt, daß nach der EU-Agenda 2000 vom Juli 1997 für den EU-Beitritt außer wirtschaftlichen Kriterien auch rechtliche Mindestvoraussetzungen und „politische Reife“ verlangt werden. Während Bonn die Vertreiberstaaten Polen und tschechische Republik ausdrücklich in Europa begrüßt, verweigert es sich tendenziell deutschfreundlichen Ländern wie Bulgarien, Lettland und Litauen, wo keine vergleichbaren Massenverbrechen stattfanden. Zumindest bei den beiden letzteren wären auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen gegeben gewesen. Wie hieß es doch im Wilden Westen: Kiss the Indian and he will kick you, kick the Indian and he will kiss you. Die zitierten Beispiele zeigen, womit sich das Informationsvakuum zum Thema der Vertreibungsverbrechen füllt. Es ist dies zum einen die wiedererstandene Kollektivschuldtheorie, zum anderen die östliche Propaganda. Beide feiern geradezu zwangsläufig fröhliche Urständ, solange es an einer Vergangenheitsbewältigung nach wissenschaftlichobjektiven und moralischen Kriterien fehlt.

Anläßlich einer Normenkontrollklage gegen das Dekret 108 über die totale Enteignung aller Sudetendeutschen wurde es vom tschechischen Verfassungsgericht erst 1997 als „legitimer Akt“ bezeichnet und mit der deutschen „Kollektivverantwortung“ begründet. Diese „andere Rechtsauffassung“ hat eine große Bundestagsmehrheit in der sog. deutsch-tschechischen Versöhnungserklärung vom 30.1.1997 ausdrücklich „respektiert“. Beide Seiten bekundeten, „daß sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden“. Nicht einmal die jüdischen Sudetendeutschen haben in der Regel ihre Häuser und Betriebe zurückerhalten. Dabei wäre die Rückgabe bei Immobilien höchst einfach, weil sie sich ganz überwiegend in tschechischem kommunalem oder Staatsbesitz befinden.

Verwandte Artikel

Tags

Share