Jagd auf Manfred Kittel

Freitag,12.Dezember2014 von

(dieser Beitrag von Kam. Gerolf Fritsche entstand als Leserbrief zum FAZ-Artikel vom 14.11.14 „Flucht, Vertreibung, Verwirrung“, welcher von der FAZ bisher nicht abgedruckt wurde… der Link zum FAZ-Artikel ist unter dem Text angefügt)

Als vor 7 Wochen die FAZ in einer Karikatur von Greser und Lenz Recep Erdogan noch einmal in eine Hundehütte setzte und über die Reaktion des Staatsmanns berichtete, war die Zeitung eine Woche später voller Leserbriefe. Es war erstaunlich, wie intensiv Zeitungsleser über solche Auswüchse hoher Politik nachdachten und – man muß konstatieren – die FAZ Redaktion solche Ergüsse in die Spalten der FAZ ließ.

14 Tage später kam im selben Blatt Jürgen Kaube (FAZ) mit einem vergleichsweise wichtigen Thema auf der ersten Seite im Feuilleton zu Wort. Wahrscheinlich unter Anspielung auf die ähnlich genannte Stiftung war der Artikel überschrieben „Flucht, Vertreibung, Verwirrung“ und sollte etwas Licht in die Entwicklungen bringen, die sich gegenwärtig um die Stiftung in Berlin abspielen. Dies mag Jürgen Kaube beabsichtigt haben, indes wuchs sich dieser eigentlich kurze Zweispalter unter der Feder des Autors zu einer Art öffentlicher Hinrichtung des noch bestallten Gründungsdirektors Manfred Kittel aus. In den folgenden Tagen herrschte Stille in der FAZ. Eigentlich war davon auszugehen, daß nicht nur Greser&Lenz-Fans die FAZ lesen. Man fragte sich schon, nach welcher Maßgabe die Leserbriefredaktion die Briefe aussortiert, die nicht erscheinen. Dann kam am 29.11.2014 wenigstens der Brief von Klaus Fleischmann. Der nahm den rigorosen Ton von Jürgen Kaube nicht auf, sondern erkannte unabhängig von Kaubes Einlassung die richtige Einschätzung der geschichtspolitischen Ziele der Bundesregierung durch Professor Kittel und hob u.a. die Herausarbeitung geschichtlicher Wahrheit bezüglich der Vertreibung der Deutschen als Grundbedingung für die Arbeit der Stiftung hervor. Daß sich Jürgen Kaube einer ideologisierten und zeitgeistgetränkten Argumentation bediente, die dazu der Stichhaltigkeit weitgehend entbehrte, ließ Klaus Fleischmann unkommentiert. Das soll hier kurz nachgeholt werden. Wer sich so weit aus dem Fenster lehnt, sollte jedenfalls auf seine Defizite hingewiesen werden.

Gleich eingangs wird leider deutlich, wie wirr das zusammengeschustert ist, was Jürgen Kaube dem FAZ Leser mitteilen möchte. Es geht um eine im Deutschen Historischen Museum laufende Ausstellung im Aufgabenspektrum der Stiftung, von der vor allem deutlich wird, wie wichtig es gewesen wäre, wenn der Autor sie in der FAZ besprochen hätte, um bei dieser Gelegenheit zu zeigen, daß er über die Probleme der Vertreibung allgemein und der Deutschen im besonderen nachgedacht hat. Dabei verheddert er sich leider heillos in das, was Auftrag der Stiftung ist, was ein angekaufter Ausstellungsteil an Mängeln hat, was ein Historiker aus dem „off“ sagt und was einige Kollegen Historiker aus dem wissenschaftlichen Beirat für Ultimaten stellen. Dieser Mix ist auch für den bereits unterrichteten Leser eine Zumutung und einfach journalistische Inkompetenz. Ein solcher Artikel sollte redaktionell dem Leser nicht zugemutet werden. Vor dem Druck bedarf er noch zweier Überarbeitungen.

Am Ende dieses Durcheinanders der ersten Spalte wird wenigstens klar, daß sogar 4 Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats mit Rücktritt gedroht haben. Man stelle sich vor, da gibt es einen wissenschaftlichen Beirat und der droht, d.h. er gibt nicht etwa einen begründeten kollegialen Rat, sondern er droht mit Rücktritt aus dem wissenschaftlichen Beirat. Daß dieses kein wissenschaftlicher Beirat ist, fällt Jürgen Kaube hierzu nicht ein. Wie soll die Arbeit eines Gründungsdirektors zwischen wissenschaftlichem Beirat auf der einen Seite und dem Stiftungsrat auf der anderen möglich sein, wenn er dazu noch die politischen Vorgaben der Bundeskulturministerin von der Regierung her zu erfüllen hat. So wie es in diesen Tagen aussieht, ist er durch die gegenwärtige Konstellation gezwungen, daß sich seine Arbeit darin erschöpfen muß, einen Sack Flöhe zu hüten. Dadurch kommt die Arbeit der Stiftung natürlich nicht voran. Jürgen Kaube müßte aufgefallen sein, daß der wissenschaftliche Beirat kein Ort für Speerspitzen von ideologisierten Interessengruppen ist. Wer Ultimaten stellt, statt begründete Ratschläge zu geben, sollte entlassen werden, wenn er nicht zurücktritt.

In der 45seitigen Konzeption der Stiftung steht eindeutig auf Seite 6: „Flucht und Vertreibung der Deutschen bildet einen Hauptakzent der Stiftungsarbeit“, nicht „den Hauptakzent“. Jürgen Kaube findet da in einem vorliegenden Werkstattbericht gewissermaßen empört „der Schwerpunkt“. Aber auch da denkt er nicht nach. Ist da überhaupt ein Unterschied? Kann da ein Unterschied sein? Was kann da neben der Dimension der Vertreibung der Deutschen noch Schwerpunkt sein, ohne eine ideologisch politische Verbiegung hineinzubringen? Hat er sich in Berlin, jetzt die Hauptstadt Deutschlands, des Landes, das von der bisher größten Vertreibung betroffen war, schon einmal umgesehen? Welche Auskunft gibt er dem Angelsachsen, der in dieser Hauptstadt ein Museum bzw. eine Gedenkstätte zur Vertreibung der Deutschen sucht, dem er außerdem erklären müßte, daß diese genozidale Vertreibung weitgehend ungeheilt ist, im Gegensatz zu den meisten anderen, die im Museum erklärtermaßen angesprochen werden sollen, wenn eben auch nicht schwerpunktmäßig. Mit etwas Nachdenken sollte sich Jürgen Kaube über die Formulierung „im Werkstattbericht“ zu diesem Punkt sogar freuen.

Leider ist ihm zuzustimmen, wenn er im nächsten Absatz anmahnt, daß die Konturen des Dokumentations- und Ausstellungszentrums am Anhalter Bahnhof nach wie vor unklar sind. Sie sind dies aber nur deshalb, weil sie im seit zweieinhalb Jahre vorliegenden oben erwähnten Konzept so sibyllinisch gehalten sind. Indes sind sie dort, wo offenbar Nägel mit Köpfen „festgelegt“ werden sollten, oft deutlich formuliert. Die Stiftung will demnach „den rein additiven Vergleich der Vertreibung vermeiden“, der natürlich auf Grund der dokumentierten Fälle sehr nahe liegt. Sie will außerdem „den fundamentalen Unterschied zwischen ethnischer Säuberung und Genozid herausarbeiten“. In diesen beiden Fällen blockiert dieses Konzept sogar die wissenschaftliche Herangehensweise und inszeniert im zweiten Falle die Suche nach dem Ei des Kolumbus; denn unabhängige Völkerrechtler, die also nicht in Abhängigkeit von einer Macht stehen, haben längst gültig begründet, daß es diesen Unterschied zwischen ethnischer Säuberung und Genozid in Wirklichkeit nicht gibt.

Neben den beiden oben genannten gibt es leider noch zahlreiche Mängel in der Konzeption der Stiftung, die unter der Feder Manfred Kittels entstanden ist. Zu den wesentlichen gehören z.B. auch jene, die mit dem Vertreibungskomplex CSR-Sudeten- und Karpatenland zusammenhängen. Der Unrechtscharakter des Handelns dieses Vertreiberstaates bei den wilden Vertreibungen wird überhaupt nicht erfasst und im wesentlichen – obwohl vor allem vor dem Potsdamer Abkommen durchgeführt – den Alliierten angelastet. Das hat u.a. zur Folge, daß in einer solchen Dokumentation der große international agierende Vertreiber der Deutschen, Edvard Beneš, kaum eine Rolle spielen wird. An dieser Stelle wird die Tendenz sichtbar, an der die Stiftung zu scheitern droht: die falsch verstandene Vorstellung von Versöhnung. Man meint in Berlin ganz offenbar, sie dadurch bewirken zu können, indem man die in der Dokumentation zu erforschende und in der Ausstellung sichtbar werdende Wirklichkeit der Nachkriegsvertreibung so darstellt, als seien Angehörige der Vertreiberstaaten kaum beteiligt gewesen. Auf diese Weise bleiben auch die absurdesten Mythen unangetastet und Edvard Beneš hat keine Chance, daß seine jahrelang so erfolgreich betriebene Agitation für die Vertreibung, die dann 1945/46 in einem monatelangen genozidalen Akt mündete, auch offengelegt und anerkannt wird. Was soll eine solche Ausstellung überhaupt, wenn das Wirken solcher Persönlichkeiten ausgeklammert bleibt? Es bewirkt tatsächlich Entscheidendes und häuft u.a. so viel Unmut über ausgelassene Möglichkeiten dieser Ausstellung an, daß jegliche Versöhnung auf der Strecke bleibt. Versöhnung und endlich Heilung könnten von ihr nur ausgehen, wenn in der Konzeption und in ihrer Umsetzung keine Tabus errichtet werden und in der Beschäftigung mit ihnen das Bemühen um Wahrheit und Wirklichkeit erkennbar bleibt. Nur aus dieser Haltung heraus, Bemühen um Wahrheit und innere Bereitschaft ihrer Anerkennung kann auch der Versöhnung in der Triade des Stiftungstitels Geltung und Wirksamkeit verschafft werden, nicht durch Beschweigen. Die im Konzept errichteten Tabus im Zusammenhang mit der CSR gehen z.B. so weit, daß tunlichst das Wort „sudetendeutsch“ vermieden wird. Dies kann nur als peinlich bezeichnet werden; denn man muß davon ausgehen, daß das Konzept von Wissenschaftlern erarbeitet wurde. Unter denen ist eigentlich seit Jahrzehnten klar, daß dieses Wort nicht nur seine sachliche Berechtigung hat, sondern geradezu notwendig ist, seitdem in St. Germain 1919 die Tschechoslowakei aus der Taufe gehoben wurde.

Diese wenigen Beispiele zeigen schon, daß vor allem am Konzept der Stiftung durchaus sachgerechte Kritik geübt werden müßte. Daß Jürgen Kaube dies an dieser Stelle nicht tut, ist peinlich genug. Noch peinlicher ist, wie er sich nun über des Stiftungsdirektors wissenschaftliches Renommee hermacht. Sowohl seine Dissertation schmäht er als auch eines seiner Bücher „Die Legende von der zweiten Schuld“. Das eindrucksvolle an der Schmähung ist, dass er weder Dissertation noch Buch studiert hat und auf Grund der Stichworte anderer schmäht. Das ist eigentlich der Tiefpunkt im Verfall der Sitten im FAZ-Feuilleton. Solche Verfahrensweise kann man natürlich überlesen, sie hat aber auch fatale Folgen. Wenn so die Weitergabe ideologischer Vorurteile salonfähig wird, erfährt die nachfolgende Generation nie, was früher auch Wirklichkeit war. Vielleicht fürchtet sich Jürgen Kaube auch vor dem Buch und der Erkenntnis, daß der Umgang mit der Vergangenheit nach 1945 u.a. durchaus auch löblich war. Es ist offenbar für einen FAZ Journalisten heute leichter – bar solcher Erkenntnis – einfach auf einer Zeitgeistwelle dahin zu schwimmen. Wie gut Manfred Kittels Buch wirklich ist, würde Jürgen Kaube erkennen, wenn er sich um eine überlegte Rezension bemühte oder bemüht hätte.

Fazit dieser Kritik: die tagespolitische Entwicklung macht deutlich, daß ein Dokumentations- und Ausstellungszentrum zum Stiftungsthema in Berlin notwendiger ist denn je. Es sollte also nicht nur hergerichtet werden, sondern das Konzept sollte endlich hieb- und stichfest, d.h. argumentativ abgesichert erstellt werden. Dazu braucht der Stiftungsdirektor wissenschaftlichen Rat und keine Ultimaten, besonders keine ideologische Prinzipienreiterei. Den Stiftungsdirektor jetzt auszutauschen, würde das Projekt um Jahre zurückwerfen. Die Kulturstaatsministerin sollte es nicht nur deshalb weiter mit Manfred Kittel versuchen, der trotz der Einlassungen Jürgen Kaubes ein bemerkenswertes wissenschaftliches Renommee hat und schon Beachtliches für die Stiftung geleistet hat. Das Konzept ist verbesserungsbedürftig, aber eben auch verbes­serungsfähig. Der Verbesserung dienen aber wohlgemerkt nicht Schmähungen, sondern vor allem begründete Vorschläge. Manfred Kittel sollte daran gemessen werden, wie er sie in Dokumentation und Ausstellung einbringt.

Ob Manfred Kittel noch einmal die Rückendeckung der Kulturstaatsministerin erhält, ja ob er überhaupt noch einmal bereit ist, sich dieses Amt des Stiftungsdirektors mit den eingebauten Widrigkeiten zuzumuten, hat sich in diesen Stunden vielleicht schon entschieden. Es ist keine Petitesse, für Manfred Kittel im Persönlichen und für das ganze Stiftungsprojekt im Besonderen. Dem droht damit sogar das Scheitern. Scheitern würde schon bedeuten, daß sich die Ideologie der 68er und die leichtfertigen Geister, wie sie z.B. schon im FAZ-Artikel sichtbar werden, in einer neuen Stiftungsspitze durchsetzen und die Vertreibung der Deutschen, die leider so monströs war, wie sie jeder aufrichtige Wissenschaftler erkennt, so marginalisiert wird, daß jedweder Versöhnungsaspekt erstickt ist. Jürgen Kaube könnte dann einen weiteren Artikel schreiben „Flucht, Vertreibung – 2014 noch einmal gescheitert“. Könnte er, wird er aber nicht. Das zu erkennen, wäre ganz schön schwer für ihn.

Gerolf Fritsche, Offenbach

Hier der Link zum FAZ Artikel 2JürgenKaubeArtikel14.11.14

 

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