Im Vorfeld des Münchner Abkommens/ Vom Machnik-Erlass zu den „Ausgleichsverhandlungen“

Montag,25.August2014 von

In den Jahren 1936 und 1937:

Nachdem die Sudetendeutsche Partei (SdP) Konrad Henleins bei den Parlamentswahlen im Mai 1935 bemerkenswert gut abgeschnitten hatte (44 von 200 Parlamentssitzen), glaubte die Regierung in Prag, den Druck auf die sudetendeutsche Volksgruppe erhöhen zu müssen. Dies geschah mittels verschiedener Erlasse und Gesetze, die allerdings, wie es scheint, mit einer landesweit verbreiteten sudetenfeindlichen Stimmung korrespondierten. So hielt es der „Verband der sudetendeutschen Selbstverwaltungskörper“ (Vorsitzender Rudolf Lodgeman von Auen) 1936 für klüger, auf seine traditionelle Jahresversammlung zu verzichten, da diese als Provokation aufgefasst werden könnte. Was das hieß, versteht man erst, wenn man die Bedeutung dieses Verbandes kennt: Er war der Zusammenschluss von 2.276 sudetendeutschen Kommunen, deren Tagungen stets von mehr als 1.000 Delegierten und zahlreicher Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft besucht worden waren. Diese Zusammenkünfte hatten zwischen 1919 und 1935 vierzehnmal ungestört stattgefunden.

Der Machnik-Erlaß
In dieser Stimmungslage sorgte der am 28. Jänner 1936 herausgegebene Machnik-Erlass für zusätzliche Aufregung. Er war nach dem tschechischen Verteidigungsminister Franz Machnik (tschechische Agrarier) benannt und wurde nur deutschen Firmen zugestellt. Diese erfuhren daraus, dass sie künftig
mit Staatsaufträgen nur rechnen könnten, wenn sich in ihrer Belegschaft der nationale Proporz wiederspiegele. Dieser Erlass wäre überflüssig gewesen, wenn es nur um die Schwächung der sudetendeutschen Wirtschaft gegangen wäre, denn laut Statistik hatten sudetendeutsche Betriebe von 1933 bis 1935 ohnehin nur 18,1 % der Staatsaufträge erhalten. Der Sinn lag aber darin, weitere Tschechen in das deutsche Gebiet zu schleusen.
Die SdP sah in dem Erlass einen Verstoß gegen den Minderheitenschutz gemäß Abschnitt VII, Art. 86 des Versailler Vertrages und reichte am 24. April 1936 eine mit größter Sorgfalt ausgearbeitete Beschwerde beim Völ-kerbund in Genf ein. England wollte der Beschwerde zum Erfolg verhelfen, denn dort hatten inzwischen Lloyd George, Harold Nicolson, Hunter Miller und andere mit ihren Büchern Zweifel an der Aufrichtigkeit der Tschechen bei den Verhandlungen in St. Germain geweckt. Auch war Henleins Auftritt im Chatham House am 9. Dezember 1935 noch in guter Erinnerung. Trotz allem blieb aber auch diese Beschwerde wie bereits 24 (!) andere vorher erfolglos, weil die CSR unbekümmert erklärte, der beanstandete Erlass sei nie angewandt worden.

Das Staatsverteidigungsgesetz
Am 13. Mai 1936, also bald nach dem Machnik-Erlaß, beschloss das Prager Parlament ein sogenann-tes Staatsverteidigungsgesetz. Es ermächtigte die Regierung, schon in Friedenszeiten Personen als staatlich unzuverlässig einzustufen und ihnen gewisse Rechte zu entziehen. Der Rechtsweg war aus-geschlossen, weshalb man bald von Kabinettsjustiz und Präsidialdiktatur sprach. Geographisch betraf das Gesetz nur die 55 grenznahen Bezirke und damit 86 Prozent der Sudetendeutschen. Dort wurden Sperrgebiete eingerichtet, Immobilien beschlagnahmt, Fotografier- und Aufenthaltsverbote verhängt. Unter Sudetendeutschen nannte man dieses Gesetz schlicht Entnationalisierungs-gesetz. Da die csl. Verfassung die Einheitlichkeit und Unteilbarkeit des Staats-gebietes forderte, verstieß es eigentlich auch gegen diese.
Die Ausgleichsverhandlungen
Mitte Jänner 1937 schöpften die Sudetendeutschen noch einmal Hoffnung, als die deutschen Sozialdemokraten mit Ministerpräsident Hodza, einem Slowaken, gewisse Erleichterungen für die Sudetendeutschen aushandelten, denen das csl. Parlament am 18. Feber 1937 zustimmte. Vorgesehen waren Verbesserungen bei der Zuteilung von Staatsaufträgen, bei der Arbeitsbeschaffung (auch im Staats-dienst), Ausbau der Jugendfürsorge, im Schulwesen und in der Kultur, Anpassung der Sprachrichtlinien in den Ämtern und Spracherleichterungen im Parlament.

Wenzel Jaksch feierte das Programm auf zahlreichen Parteiversammlungen als Erfolg des Aktivismus, insbesondere seiner Partei, und unter den Sudetendeutschen verbreitete sich Euphorie.  Sogar die SdP Henleins wurde davon erfasst, und es kam zu einer Austrittswelle, bei der nicht weniger als 30.000 (!) Mitglieder ihr Parteibuch zurückgaben (Seibt, Ferdinand, Deutschland und die Tschechen, S.332).
Bald jedoch trat wieder Ernüchterung ein, denn kein einziges der Versprechen wurde eingelöst. Am 20. Juni 1937, also vier Monate nach der Bekanntgabe, bat eine Gruppe von Bürgermeistern aus dem Raum Olmütz die Regierung, „den Vereinbarungen vom 18.2.1937 erhöhte Aufmerksamkeit zu schen-ken“. Aber trotz des mutig eingefügten Wörtchens „erhöht“ tat sich weiter nichts. Abgelehnt wurde im Gegenteil ein weiterer Gesetzesentwurf der SdP, der in Anlehnung an den Mährischen Ausgleich dem (sudetendeutschen) Volksschutz dienen sollte.

Das Maß war voll
Die Ereignisse der Jahre 1936 und 1937 zeigten erneut den absoluten Mangel an tschechischer Ver-ständigungsbereitschaft. Viele Sudetendeutsche sahen daher keine Alternative mehr zum Anschluss an das Reich. Dennoch fehlte diese Forderung am 24.April 1938 immer noch unter den acht Karlsbader Punkten, und eine innerstaatliche Lösung wäre noch möglich gewesen. Das umso mehr, als es den meisten Anhängern Henleins primär um das wirtschaftliche Überleben ging und nicht um die NS-Ideologie, was ja gerade auch die oben erwähnten 30.000 Parteiaustritte gezeigt hatten. Ideologie war eher bei den Tschechen im Spiel, die sich ungeachtet der Realitäten die Idee vom homogenen Nationalstaat in den Kopf gesetzt hatten. Realitätsleugnung war aber schon immer Merkmal ideologischer Verbohrtheit. (F.V.)

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