Ein Denkmal erinnert an die „kalte Vertreibung“

Dienstag,19.November2013 von

Auch in diesem Jahre veranstaltete die SLÖ-Gruppe Enns ihre Gedenkfeier für die sudetendeutschen
Märztoten am Sudetendeutschen Denkmal im Schlosspark. Worte des Erinnerns sprach der SLÖ-
Vorsitzende von Oberösterreich, Peter Ludwig.
Was diese Veranstaltung aus den landesweit durchgeführten Feiern heraushob, ist die Jahreszahl 1932
auf dem Denkmal, denn die Sudetendeutschen errichteten ihre Denkmale in der Regel erst nach 1945.
Diese Zahl führt uns daher zu einer weitgehend vergessenen Geschichte.
„Kalte Vertreibung“
Die Zahl erinnert an die wirtschaftliche und nationale Not der Sudetendeutschen gleich nach dem
Ersten Weltkrieg. Viele unserer Landsleute wurden nach der Gründung der Tschechoslowakei
arbeitslos, vor allem solche, die infolge fehlender Tschechischkenntnisse aus dem öffentlichen Dienst
entfernt wurden. Ihnen blieb oft nur die Arbeitssuche im Ausland. So gelangten bis 1922 auch
zahlreiche Sudetendeutsche in das Gebiet von
Enns/Mauthausen, wo sie etwa als Polizisten wieder in
ihrem erlernten Beruf arbeiten konnten. Diesen
Vorgang kann man auch als „kalte Vertreibung“
bezeichnen. Trotz des Ortswechsels blieben die meisten
der Neubürger ihrer Herkunftsheimat verbunden und
schlossen sich schon 1922 im „Sudetendeutschen
Heimatbund Enns-Mauthausen“ zusammen. Dieser
errichtete zehn Jahre später das Denkmal in Enns. Es
wurde am 26. Juni 1932 eingeweiht und stand
ursprünglich am „Sudetendeutschen Platz“ im selben
Park. Seinen jetzigen Standort erhielt es 1962. Über das
Denkmal wurde übrigens schon einmal in der
„Sudetenpost“ im Jahre 1989 (Folge 6) berichtet.
Kein Einzelfall
Die Zuwanderung nach Enns/Mauthausen war kein
Einzelfall. Josef Pergher, der Schriftleiter des
Heimatbriefes Mies-Pilsen, kannte diese Problematik
auch aus dem Bergbaugebiet westlich von Pilsen (Kreis
Mies) und schrieb 1958 darüber in Land an der Miesa
(Juli-Heft, S. 336 f.) sinngemäß:
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde auch Untertage
tschechisiert. Viele gut ausgebildete Deutsche, auch
ehemalige Kriegsteilnehmer, mußten sich als Hilfsarbeiter
verdingen. Aber wehe, wer Mitglied in einem
deutschen Selbsthilfeverein war, der bekam bald die Entlassungspapiere und lag auf der Straße. Es
blieb nur die Auswanderung. Für viele war es aber Glück im Unglück, daß in Ratten in der Steiermark
einer der ihren, der Bergingenieur Josef Fuglevicz, mit dem Aufbau der Firma „Feistritztaler Bergbauund
Industrie-AG“ betraut worden war und gerne die ihm oft persönlich bekannten Landsleute
einstellte. So konnten sich einigen Hundert Auswanderer eine neue Existenz aufbauen. Viele der
Auswanderer blieben Abonnenten des „Pilsner Tagblattes“ und der „Mieser Zeitung“, und da Josef
Pergher Redakteur dieser Blätter war, wusste er auch, wo sie sich niedergelassen hatten. Sie lebten in
St. Kathrein am Hauenstein, in Rettenegg am Kogl, in St. Jakob
im Jogelland, in Birkenfeld usw.
Josef Pergher schrieb weiter: Die Tschechen haben uns zwar nicht
vertrieben, aber sie zwangen uns indirekt zum Verlassen der
Heimat, was ihnen wiederum „die Ansiedlung von Tschechen
besonders aus dem Prestizer Gebiet“ (südlich von Pilsen)
erleichterte. Die deutschen Arbeitsuchenden gingen bevorzugt nach Österreich, weil ihnen dieses Land noch aus Zeiten der Monarchie vertrauter war als etwa Bayern oder Sachsen. Viele fuhren aufs
Geradewohl nach Wien, Ratten oder Statzendorf bei Krems und hatten meist in Ratten Erfolg, wo sie
von Direktor Fuglevicz oder dessen Sekretär Albustin (aus Zwug, ebenfalls Kreis Mies) irgendwie
unterbracht wurden, oft zunächst nur als Praktikanten. In Ratten wurden Braunkohleschächte
abgeteuft, eine Holzindustrie aufgebaut und unter Leitung von Direktor Wollner (aus Holleischen, auch
Kreis Mies) eine Glasfabrik eröffnet.
Josef Pergher berichtet auch von der Kulturbeflissenheit der zugewanderten Deutschböhmen. Sie
hätten der Verehrung Peter Roseggers in der Nordoststeiermark erst den richtigen Impuls gegeben.
Erst in ihnen fanden die ortsansässigen „Vortragsmeister“ und „Apostel Roseggers“ aufmerksame
Zuhörer und begeisterte Resonanz. Josef Pergher kann auch einige Namen der einheimischen
Rosegger-Verehrer nennen. Es waren Dr. Plattensteiner, der Schriftsteller Emil Ertl, Direktor Brunner,
Hammerwerksbesitzer Flick, Fritz Lohn u.a.
Nur in Enns
Neben Enns und Ratten gab es gewiß auch noch andere Schwerpunkte sudetendeutscher Ansiedlung,
vor allem in den Großstädten. Zu einem eigenen Denkmal haben es aber nur die heimattreuen
Sudetendeutschen in Enns/Mauthausen gebracht!

 

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