75 Jahre Münchner Abkommen

Montag,18.November2013 von

Komödie um einen völkerrechtlichen Vertrag

Wer sich mit dem Münchner Abkommen befasst, muss bei den Verträgen von Versailles und St. Germain beginnen. Diese waren Hervorbringungen des Völkerbundes, der von den damaligen Siegermächten mehr oder weniger vorgeschoben war. Beide Verträge enthielten jeweils eine fast identische Revisionsklausel: „Die Bundesversammlung (sc. des Völkerbundes) kann von Zeit zu Zeit die Bundesmitglieder zu einer Nachprüfung der unanwendbar gewordenen Verträge und solcher internationalen Verhältnisse auffordern, deren Aufrechterhaltung den Weltfrieden gefährden könnte.“ (Vertrag von St. Germain, Art. 19; Vertrag von Versailles, Teil I, Art. 19).

Die Tschechen kannten diese Bestimmungen sehr wohl, und Stefan Osusky, der csl. Botschafter in Paris, hat seine Regierung schon am 31.3.1933 eindringlich vor der Brisanz dieser Klauseln gewarnt (Berber, Friedrich, Europäische Politik 1933-1938 im Spiegel der Prager Akten, 31.3.1933). Beide Klauseln hätten vom Völkerbund verlangt, die insgesamt 24 (!) Beschwerden der Sudetendeutschen aufzugrei-fen, doch es geschah 20 Jahre lang nichts. Das war ein unentschuldbares Versagen von Demokraten, das eigentlich in alle Zukunft ausschließt, die Sudetendeutschen in irgendeiner Form an irgendeinen Pranger zu stellen.

Erst im April 1938, nachdem Österreich ein Teil des Deutschen Reiches geworden war, forderten die Alliierten Hitler auf, in der Sudetenfrage Forderungen zu stellen, „was diesen überraschte“ (Taylor, A.J.P., Die Ursprünge des Zweiten Weltkrieges, S. 211). Schließlich war die Sudetenfrage noch immer eine innertschechische Angelegenheit, für deren Lösung eine einfache Volksabstimmung genügt hätte. Allerdings wehrte sich die „Musterdemokratie“ CSR vehement gegen ein solches urdemokratisches Verfahren, denn auch die anderen Minderheiten wären gerne ihre eigenen Wege gegangen, was den ganzen Staat zur Implosion gebracht hätte.

Auf die internationale Ebene wurde die Sudetenfrage am 20. Mai 1938 gehoben, als Prag seine Streit-kräfte völlig grundlos gegen Deutschland mobilisierte. Dahinter stand Churchill, der Benesch am 12.4.1938 geraten hatte, selbst einen Krieg mit Deutschland „herbeizuführen“, denn die Kriegsbereit-schaft Deutschlands schätzte er lediglich auf 1:50 (Vaclav Kral, Die Deutschen in der Tschechoslowakei 1933-47, Dokumentensammlung, Prag 1964, S. 117). Auf dieser internationalen Ebene konnte es dann auch zur Entsendung von Lord Walter Runciman kommen, der als Gutachter dazu riet, das Sudeten-land unverzüglich an das Deutsche Reich zu übertragen. Obwohl dabei die von Benesch so gefürchtete Volksabstimmung vermieden wurde, kämpfte dieser mit dem Necas-Geheimbrief vom 16.9.1938 um eine weitere Schadensbegrenzung . Er bot eine Teilabtretung bei gleichzeitiger „Ortsverlagerung“ (=Vertreibung) von 1,5 bis 2 Millionen Sudetendeutschen an. Die Gebietsabtretung sollte 4-6000 qkm umfassen. Frankreich und England bestanden aber ultimativ auf der Abtretung des ganzen Sudeten-landes. Das Tauziehen dauerte vom 17. bis zum 21. September. Benesch verlangte schließlich nur noch, dass er vor der Öffentlichkeit als Opfer erscheinen müsse, das nur unter Druck zugestimmt hätte. Mit diesem Schauspiel erklärten sich die Alliierten einverstanden. Wenn man so will, hatte sich Benesch das Ultimatum selbst bestellt. Dieses Doppelspiel veranlasste Stefan Osusky, einen Hochverratsprozess gegen Benesch zu verlangen. Deutschland war an diesem Abkom-men in keiner Weise beteiligt.

Offen waren nach dem 21. September 1938 nur noch die Modalitäten der Gebietsabtretung. Nach Irritationen bei der Konferenz in Bad Godesberg schlug Mussolini die Konferenz von München vor. Man traf sich am 29. September 1938 und verabschiedete das Münchner Abkommen. Dieses bezieht sich mit seinem ersten Satz ausdrücklich auf den Basisvertrag vom 21.9.1938 zwischen Frankreich, England und der CSR über die Abtretung und regelt sonst weiter nichts als die Verfahrensweisen bei der Gebietsübergabe. Bezeichnenderweise hat man bei der späteren Aufkündigung des Münchner Abkommens diesen Basisvertrag stillschweigend „vergessen“. Das muss man dann als den zweiten Teil des Komödienspiels ansehen.

 

Behandlung nur von Symptomen

Der elementare Fehler bei den Pariser Vorortverträgen war der betrügerische Umgang mit dem

Selbstbestimmungsrecht. Es spricht Bände, dass sich die USA weigerten, den Versailler Vertrag zu

ratifizieren und Mitglied des Völkerbundes zu werden. Der Weg der CSR nach 1918 ähnelte dem

einer in die Insolvenz schlitternden Firma. Den ersten Fehlern folgten unvermeidbar weitere.

Der vermutlich gravierendste war 1935 das enge Bündnis mit der Sowjetunion. Die westlichen

Demokratien fürchteten, neben Spanien bald einen zweiten (oder dritten? Frankreich!)

kommunistischen Staat in Europa zu haben. Das ließ ihr Interesse am Fortbestand der CSR gegen

Null tendieren. Das Münchner Abkommen betraf aber nur die Sudetenfrage. Es blieb die slowakische

Frage, die letztlich in die Protektoratsfrage mündete.

Die Annullierung

England annullierte das Münchner Abkommen schon am 5. August 1942. Nach Meinung der Bundesregierung erlosch seine Gültigkeit jedoch erst 1974 mit der Ratifizierung des Normalisierungs-vertrages mit der CSSR, was bedeutet, dass die Sudetendeutschen 1945 deutsche Staatsbürger waren, die von einem fremden Staat nur gegen Entschädigung enteignet werden durften.

Folgt man aber der tschechischen Auffassung, hätten die Sudetendeutschen 1945, da csl. Staatsbürger, unter dem Schutz der eigenen Verfassung gestanden, die jede Ausbürgerung untersagte. Unnötig wären dann 1949 bzw. 1953 auch die Einbürgerungs-prozeduren für die heimatverbliebenen Sudeten-deutschen gewesen. Wohin man also sieht, immer wieder stolpert die Tschechische Republik über ihre eigenen juristischen Füsse. Im Übrigen umfasste die Annullierung des Münchner Abkommens keineswegs auch die Ermächtigung zur Vertreibung und völligen Enteignung der Sudetendeutschen.

Der Wert des Rechtes

Das Münchner Abkommen mit Basisvertrag war für

die Sudetendeutschen ein bedeutender Rechtstitel.

Er ist heute im öffentlichen Bewusstsein zusammengeschmolzen auf einen verschwindend kleinen

Rest, den die deutsche Bundesregierung eher halbherzig zu verteidigen sucht. Die maßgeblichen

Themen wie Selbstbestimmung, Haager Landkriegsordnung usw.verschwanden stillschweigend von

der Tagesordnung. Wenn überhaupt, so geht es nur noch um Individualrechte. Aber auch da wird der

Einzelne alleine gelassen. Bezeichnend ist, dass alle Verfahren vor nationalen und internationalen

Gerichten auf private Initiative zurückgehen. Dieses opportunistische Wegducken unserer

Leitungsgremien, diese Scheu, seine Rechte laut und deutlich einzufordern, sind auch aus einem

übergeordneten Grund unverantwortlich, denn damit leistet man der allgemeinen Verluderung des

Rechts Vorschub, und wohin das führt, zeigen uns deutlich genug die willkürlichen Tötungen von

Menschen durch Drohnen und das milliardenfache Ausspähen des Bürgers durch die NSA. Eine

Welt ohne Recht wäre aber gerade für die Sudetendeutschen verhängnisvoll, denn das Recht ist ihre

einzige Waffe. Auch 75 Jahren nach dem Zustandekommen des Münchner Abkommens gilt daher,

beharrlich auf die Schwachstellen der tschechischen Rechtspositionen hinzuweisen. (F.V.)

 

Das sanfte Gesetz?

Wäre die zum Münchner Abkommen führende Krise bei Beachtung witikonischer Grundsätze zu vermeiden gewesen? Für Stifters „Sanftes Ge-setz“ nahmen sich die Tschechen 1918 offenbar keine Zeit, obwohl z.B. der sudetendeutsche Ar-beiter durch die Gewerkschaften zum Interna-tionalismus erzogen war und zu einer organisch verlaufenden Entwicklung fähig gewesen wäre.

Bleibt der zweite Grundsatz, der im Konfliktfall die Bruchlinie nie entlang der nationalen Unter-schiede verlaufen läßt, sondern immer nur mora-lische und rechtliche Maßstäbe kennt.

Ohne Zweifel hätte die strenge Beachtung von Recht und Moral den nationalen Konflikt gemil-dert oder ganz vermieden! 

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